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Die Tochter des Schmieds

Die Tochter des Schmieds

Titel: Die Tochter des Schmieds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Sommer auch so viel gebügelt werden muß, fragt Gül sich. Doch sie weiß, daß sie auch diese Arbeit
     erledigen kann, sie hat bisher immer alles geschafft.
    Obwohl Gül manchmal mit ihren Schwägerinnen lacht, obwohl sie sich mit Suzan angefreundet hat, obwohl die Bücher ihr abends
     Gesellschaft leisten, obwohl sie Briefe schreibt, obwohl sie selten allein ist, fühlt Gül sich einsam. Sie ist fremd hier.
    – So geht das nicht weiter, sagt Suzan.
    – Wieso? fragt Gül. Ich arbeite doch schon weniger.
    – Ja, aber dein Herz ist nicht in Frieden. Du siehst unruhig aus. Bist du glücklich?
    Gül antwortet nicht.
    – Was machst du überhaupt hier?
    Als Gül wieder nicht antwortet, wiederholt Suzan ihre Frage.
    – Was meinst du, Suzan Abla?
    – Es gibt viel Arbeit, aber die mußt du doch nicht erledigen, oder?
    – Wer denn?
    – Schau mal, mein Herz, warum bist du hier? Wegen deines |228| Mannes. Und wo ist dein Mann? Beim Militär. Er ist nicht da. Was also machst du hier? Deine Mutter ist doch eine Tochter dieses
     Hauses, nicht wahr? Warum kommt nicht deine Mutter hierher, und du gehst eine Zeitlang wieder heim? Dann kann jeder seinem
     eigenen Vater ein wenig zur Hand gehen.
    Zwei Nächte lang denkt Gül darüber nach. Am zweiten Morgen fragt sie ihren Vater, was er davon hält. Timur sieht nachdenklich
     auf den Boden.
    – Wir werden sehen, sagt er.
    Er erwähnt das Thema eine Woche lang nicht mehr, und Gül fragt nicht nach. Nach einer Woche kommt Melike um die Mittagszeit
     vorbei, sie, die sonst nie vorbeikommt. Sie möchte mit Gül auf ihr Zimmer.
    – Schön hast du es, sagt Melike.
    Gül zuckt mit den Schultern, sie weiß nicht, was ihre Schwester will.
    – Warum willst du hier weg? Ich wünschte, ich hätte ein Zimmer ganz für mich allein.
    – Sie laden mir Arbeit auf, als sei ich ein Packesel.
    – Das macht dir doch nichts aus, oder? Du hast schon immer viel gearbeitet.
    – Doch, es macht mir etwas aus.
    – Vater will Mutter hierherschicken, und du sollst dafür heimkommen.
    – Kann sein.
    – Aber sie will nicht. Papa und sie streiten sich fast jeden Abend. Du reißt die Familie auseinander.
    – Was?
    – Du reißt die Familie auseinander. Du willst uns die Mutter wegnehmen.
    – Bist du verrückt geworden? entfährt es Gül.
    Stille.
    – Überleg es dir gut. Mutter möchte nicht hierher.
    – Weil sie weiß, daß man hier viel arbeiten muß, und weil sie faul ist.
    |229| – Du weißt nicht, wie es zu Hause ist, sagt Melike.
    Melike sagt noch einiges, aber Gül hört nicht mehr hin, sie kann nicht hinhören, die Gedanken in ihrem Kopf sind zu laut.
     Welche Mutter nehme ich dir weg? Ist sie dir wirklich lieber als ich? Hat sie dich je wie eine Mutter behandelt? Habe ich
     nicht immer alles für dich getan? Habe ich nicht versucht, dir eine Mutter zu sein, so gut ich eben konnte? Ich war halt auch
     nur ein Kind. Hast du ein einziges Mal ein Lob aus dem Mund dieser Frau gehört, die du Mutter nennst? Sie lobt auch ihre eigenen
     Kinder nicht, ich weiß … Trotzdem. Was reiße ich auseinander? Was ist in dich gefahren? Bist du übergeschnappt?
    Aber was soll sie machen. Es ist ihre Schwester. Sie schluckt, sie schluckt all diese Gedanken und Worte, wie ein Ertrinkender
     Wasser schluckt. Aber sie ertrinkt nicht, es wird ihr nur eng um die Brust, und sie möchte, daß es schon Nacht ist, damit
     sie allein sein kann.
    Früher hat Gül versucht, den Frieden im Haus zu wahren, und jetzt muß ich es tun, hat Melike wohl gedacht und ist zu Gül gegangen.
     Was hätte sie sonst tun sollen? Ihr ist es ja nicht so wichtig, aber Sibel leidet unter dem allabendlichen Streit, sie sitzt
     einfach nur in der Ecke und starrt vor sich hin, während die lauten Stimmen durch die dicken Wände dringen, sie zeichnet nicht
     mal mehr.
    Zwei weitere Nächte liegt Gül wach und bewegt die Worte in ihrem Inneren. Verschiebt sie, ordnet sie neu, verwirft sie, aber
     sie kommen immer wieder zurück. Melike hat unrecht, flüstert es in ihr, aber am liebsten würde es schreien. Nach diesen zwei
     Nächten sagt ihr Vater morgens zu ihr:
    – Nächste Woche ziehen wir ins Sommerhaus, alles ist vorbereitet, deine Mutter wird dann den Sommer hier verbringen, und du
     wirst zu uns kommen. Ich habe schon mit deinen Schwiegereltern geredet.
    – Vielen Dank, sagt Gül, vielen Dank, du wirst es nicht bereuen.
    – Natürlich werde ich es nicht bereuen. Komm mittags |230| doch noch mal in die Schmiede, ich werde Bescheid

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