Die Tochter des Schmieds
die
es sich aber nicht nehmen läßt, ihren Schwiegervater darüber aufzuklären, daß sie recht hatte und daß es Yılmaz war auf dem
Foto.
– Sie benutzen dich, sagt Suzan, sie benutzen dich, als wärst du eine Magd. Kein Mensch kann dich zwingen, ihre Kinder auf
das Klo zu bringen. Du mußt dich widersetzen, Gül, meine Liebste, diese Menschen schauen nicht auf deine Tränen, du mußt dir
einen Platz erkämpfen, es reicht nicht, wenn du eingeschnappt bist und dann trotzdem tust, was sie wollen. Es ist schwer,
und du bist noch so jung, ich weiß, wie das ist. Die ersten drei Jahre haben Murats Mutter und Schwester bei uns gelebt, das
war nicht einfach für mich. Meine Schwiegermutter ist dann verstorben, und die Schwester hat geheiratet. Da war sie zwanzig.
So ist das, so dreht sich die Welt. Wer niemanden hat, der muß sehen, wo er bleibt. Gül, du mußt etwas tun.
Es ist ein kühler Abend mit einem Hauch von Frühling, als Suzan das zu Gül sagt. Ein Abend, an dem man eine Ahnung davon bekommt,
wie weich die Luft sein wird, ein Abend, der den Duft von Erde und Grün mitbringt, ein Abend, über den Gül sich eigentlich
freuen würde. Endlich ist der Winter vorbei, endlich können sich die Muskeln und das Gesicht entspannen, sobald auch der letzte
Rest Kälte aus den Knochen gewichen ist.
Doch am nächsten Morgen sitzt Gül im Hof vor dem riesigen Kupferbecken, wäscht Windeln und weint ins Waschwasser, als ihr
Vater vorbeikommt. Gül wischt sich die Tränen fort und zieht die Nase hoch und setzt ein Lächeln auf.
– Was ist passiert?
– Nichts.
– Wie, nichts? Warum … Am frühen Morgen.
– Ich habe mich mit Mutter gestritten.
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|226| – Das ist doch normal. Man muß sich mit seiner Schwiegermutter streiten … Weswegen?
– Ich wollte die Wäsche erst heute abend waschen, und sie hat gesagt, ich müßte es jetzt tun. Jetzt wollte ich aber lieber
… Ich hätte es ja getan. Nur eben später, aber sie hat mich angeschrien, und verflucht hat sie mich. Mögest du deinen Mann
nicht wiedersehen, hat sie gesagt.
– Das hat sie nicht so gemeint, sagt Timur. Es ist normal, verstehst du? Schwiegermutter und Schwiegertochter verstehen sich
selten gut. Du weißt doch, ich habe deine Mutter ins Zimmer gezogen und habe dann auf die Kissen geschlagen, damit deine Oma
denkt, ich würde sie verprügeln.
– Ich weiß, sagt Gül und zieht wieder die Nase hoch, ich weiß, aber …
– Mach dir nichts draus, mein Mädchen.
Er geht in die Hocke, Gül wäscht weiter, sie schweigen eine Weile gemeinsam, bis der Schmied aufsteht und
Bis morgen
sagt, ihr auf die Schulter klopft und dann Richtung Stall geht.
– Ich rede noch ein paar Takte mit den Kühen des Kutschers, sagt er.
Wenn Gül auf dem Hof ist wie heute morgen, geht er, nachdem sie geredet haben, normalerweise noch mal ins Haus, um zu grüßen.
– Vater, sagt Gül, und der Schmied bleibt stehen und dreht den Kopf. Gül sieht die Tränen in seinen Augen und sagt nichts
mehr. Sie weint nicht, bis ihr Vater außer Sichtweite ist.
Gül arbeitet weniger, als die Bäume knospen. Sie erledigt nicht mehr alles, was ihr aufgetragen wird, manches verschleppt
sie oder tut so, als habe sie etwas überhört oder wieder vergessen. Suzan hat recht, warum soll sie dauernd ihre Nichten und
Neffen auf das Klo bringen. Sie trödelt bei der Arbeit, so daß sie sagen kann: Jaja, wenn ich hiermit fertig bin, erledige
ich auch das. Sie arbeitet weniger, aber genauso gewissenhaft wie vorher, was sie macht, macht sie richtig. Es widerstrebt
ihr, zu schludern.
|227| Das einzige, was sie zu jener Zeit sehr gern tut, ist Bügeln. Nachdem sie ihr Bügeleisen an eine der beiden Steckdosen im
Haus angeschlossen hat, kommt es ihr vor, als würde es von allein über den Stoff gleiten. Man muß nicht mehr das Eisen auf
dem Ofen erhitzen, warten, bis es die richtige Temperatur hat, fester aufdrücken, wenn es langsam erkaltet, und man braucht
sich nicht über die Flecken zu ärgern, die der Ruß hinterläßt, weil er fast immer einen Weg auf die Kleidung findet.
Im Erdgeschoß hängt in jedem Zimmer eine nackte Glühbirne von der Decke, aber im ersten Stock gibt es keinen Strom, dort benutzen
sie immer noch die alten Petroleumlampen. Auch im Stadthaus des Schmieds gibt es mittlerweile Elektrizität, doch es wird noch
über fünfzehn Jahre dauern, bis die Sommerhäuser Strom bekommen.
Was mache ich nur, wenn im
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