Die Tochter des stählernen Drachen
Ladung wurde gerettet. Die andere Hälfte ermöglichte den Meryons die Industrialisierung. Sie hatten jetzt Fabriken, und die Gaslaternen, die sich an ihren Straßen wie Konstellationen von Glühwürmchen entlanggezogen hatten, waren durch elektrische Beleuchtung ersetzt worden. Bei Nacht bildeten ihre Straßen und Boulevards helle Linien in einem Muster, dessen komplexe Logik der Logik eines okkulten Stromkreisdiagramms glich. Am Tag hing ein grauer Schleier dicht über ihren Hoheitsgebieten. Die Krieger trugen Gewehre.
Die Sommerkurse wurden nur spärlich besucht; die Schüler mit einer Ganztagsarbeit waren für diese Jahreszeit entschuldigt. Die verbliebenen Schüler wußten, daß nichts zählte, was sie lernten, da alles im Herbst wiederholt werden würde, wenn ihre Klassenkameraden zurückkehrten. Die Tage verliefen träge und schläfrig.
Jane nutzte die Gelegenheit, ein für allemal aufzuholen. Es wäre ihr lieb gewesen, etwas mehr praktische Erfahrung im Alchemielabor zu gewinnen, aber als sie die zusätzliche Zeit beantragte, lehnte die Schulsekretärin ohne Begründung ab. Also arbeitete sie statt dessen an ihren mathematischen Kenntnissen.
Eines Nachmittags - sie wollte gerade gehen - hielt Ratsnickle sie beim Vordereingang auf. Das Granitrad, das man dort an der Wand aufgestellt hatte, war höher als die größten Schüler und sollte sie an ihre Pflichten, an die Notwendigkeit des Gehorsams, an die Vergänglichkeit und an ihre Zukunft gemahnen. Ratsnickle lehnte dagegen und sagte: »Wie ich höre, klaust du zur Zeit Sachen für Gwen.«
»Ja, tatsächlich?« Jane war Ratsnickle gegenüber vorsichtig geworden. Er hatte sich in letzter Zeit merkwürdig benommen, wild und wahnhaft-aggressiv.
»Also, was ist los? Wirst du lesbisch oder was?«
Da schlug sie ihn auf die Brust, so fest sie konnte. »Du Saukerl!« schrie sie. »Du böswillige, stinkende, widerwärtige ... Kreatur!«
Ratsnickle lachte nur. »Einen Nerv getroffen, hm, Maggie?«
»Oh, halt’s Maul!«
»Hör mal, wenn ihr mal Lust haben solltet, einen Mann in euer kleines Techtelmechtel mit aufzunehmen ...«
Blindlings stürmte Jane davon und prallte mit voller Wucht gegen Peter, der die Stufen heraufkam.
»Whoa, Vorsicht!« Er stützte sie und hielt sie auf Armeslänge bei den Schultern fest. »He, du bist ja völlig durcheinander. Stimmt was nicht?«
»Es ist bloß ...« Sie sah sich nach hinten um. Ratsnickle war verschwunden. Typisch. »Ich bin bloß ...« Sie sammelte sich wieder. »Wohin gehst du?«
»Zur Werkstatt. Da steht ein Streitroß, an dem ich manchmal arbeite, um ein paar zusätzliche Punkte zu erringen.«
Jane hatte Schulaufgaben zu erledigen, Dinge zu stehlen, und jede Menge Hausarbeit warteten auf sie. Die Schule hatte kein zentrales Belüftungssystem, was bedeutete, daß außenliegende Bereiche wie die Werkstatt niemals viel frische Luft bekamen. Zu dieser Tageszeit mußte es dort heiß wie in einem Backofen sein. »Kann ich mitkommen?«
»Aber ja.«
Wortlos folgten sie einem gewundenen Pfad durch die leeren Flure. Peter wollte nicht über Gwen reden, wenn sie nicht anwesend war. Jane respektierte das. Also sprachen sie statt dessen gewöhnlich über Maschinen. »An wem arbeitest du?« fragte sie schließlich.
»Ragwort. Kennst du ihn?«
Jane schüttelte den Kopf. »Wie ist er so?«
»Unflätig, laut, ein bißchen blöd.« Peter hob die Schultern. »Dennoch ein netter Bursche.«
Die Schulwerkstatt war ein größerer Gemischtwarenladen als jene Werkstätten, in denen Jane aufgewachsen war. Die tatsächliche Anzahl an Werkzeugen mochte nicht größer sein als in einer normalen Werkstatt, aber die Schule verfügte über eine weitaus größere Vielfalt. Es gab Drehbänke, Hobel und Fuchsschwänze neben Lötkolben, elektrischen Schleifsteinen, einer Ausrüstung zum Formen von Blechen und sogar einen Schweißtisch. Alles war so billig wie möglich zusammengerafft worden. Gelbe Linien auf einem sorgfältigst gereinigten Betonboden trennten die einzelnen Arbeitsbereiche voneinander.
Es gab zwei Gestelle. Das eine war leer. Vom anderen hing ein zerfressenes Streitroß aus Zinn an einer Ketten- und Hakenapparatur mit Sperrklinke herab. Jemand hatte mit Tarnfarbe bemalte Brustplatten entfernt, so daß sich die Innereien zeigten. Zwei eingestöpselte schwarze Kabel baumelten schlaff an einer Seite herab. »Na, alter Junge!« sagte Peter. »Wie steht’s?«
Ragwort schwang nachdenklich den Kopf hoch und schenkte ihm ein
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