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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Schneiderwerkstatt und stieg hinauf zu seiner Dachkammer.
    Das Beispiel Klobkow war zu deutlich … Rußland befand sich wirklich in einer völligen Umstellung.
    Herrliches Rußland? War es wirklich so herrlich gewesen?
    Wie hatte der Muschik gelebt? Wie eine Wanze.
    Wieviel galt der Fabrikarbeiter? Weniger als der fette Hund des Direktors oder die Siamkatze der Frau Direktor.
    Was war die Aufgabe der reichen Handelsherren? Betrug, Geldscheffeln und amüsieren mit Geliebten in teuren Luxuswohnungen.
    Was tat der Adel? Er tanzte, gab das Geld aus, intrigierte und herrschte.
    Und nach Sibirien marschierten die Kolonnen der Sträflinge, die sich dagegen aufgelehnt hatten.
    Herrliches Rußland?
    Wie ein Betrunkener stolperte er ins Zimmer und fiel auf das Bett. Entsetzt lief Nadja auf ihn zu. Aber seine Augen waren nicht krank, sondern starr vor Erkenntnis.
    »Wir werden das Schiff nehmen, Nadjuscha …«, sagte Gurjew tonlos. »Ganz gleich, wohin es uns führt … Wir müssen weg … Hier können wir nicht mehr bleiben. Hier nicht!«
    »Ich habe die Nähte der alten Kleider schon aufgetrennt«, sagte Nadja leise und streichelte seine schwarzen, jetzt struppigen Haare. »Neun Brillanten, sieben Smaragde und drei Rubine sind es noch. Wir werden die Überfahrt bezahlen können und irgendwo auf der Welt die Miete für ein Zimmer … Und wir haben vier Hände und zwei tapfere Herzen … O Niki, wie reich wir sind …!«
    Drei Tage später rückten die letzten weißen Kompanien in die zur Festung erklärte Stadt Wladiwostok ein. Sie kamen vom Amur, dreckig, müde, die meisten verwundet, ein trauriger Haufen gejagter Hasen. Sie marschierten durch die Straßen, und niemand winkte ihnen zu, brachte ihnen Wasser, munterte sie auf … man sah an ihnen vorbei, und in der Alexandrownastraße flatterten sogar Flugblätter in die Kolonnen. Es waren die Zettel, die Klobkow auf seiner Handpresse gedruckt hatte.
    In der Nacht begann die Beschießung der vorgeschobenen Stellungen durch die Rote Armee. General Karsanow antwortete mit zwei schweren Hafenbatterien, die er hatte umdrehen lassen. Rauschend flogen die schweren Granaten über die Stadt, der Boden erzitterte bei jedem Abschuß. Die Schiffe im Hafen lagen alle unter Dampf.
    Am nächsten Morgen – die ganze Nacht über hatten Nadja und Nikolai auf ihren Koffern gesessen und heißen Tee getrunken, den ihnen die Klobkowa brachte, und hatten gewartet, daß ihnen Bubka Nachricht aus dem Hafen zukommen ließ – begann das Bombardement auf die Stadt. Die Roten mußten Hunderte von Geschützen haben, denn es orgelte und brummte und heulte durch die Luft, überall in der Stadt schlugen die Granaten ein und zerfetzten Häuser, rissen tiefe Löcher in das Pflaster, wirbelten Menschenleiber durch die Morgenluft, brachen Brände aus und schrien Verwundete um Hilfe.
    Und immer wieder, bis zum Mittag, krachten die Einschläge, fielen Häuser zusammen wie Kinderbausteine, loderten hohe Brände auf und sahen die Straßen aus wie pockennarbige Gesichter.
    Von Bubka war keine Nachricht gekommen, aber Nadja wollte nicht länger warten.
    »Wir gehen zum Hafen!« sagte sie. »Ich kenne das amerikanische Schiff! Aaron Prokopiwitsch hat es mir gezeigt. Auch den Kapitän kenne ich! Ich warte nicht mehr länger!«
    Gurjew hängte sich vier Koffer an Lederriemen über die Schultern, Nadja trug Helena in einem großen Umschlagtuch, drei Leinentaschen baumelten an dem Gürtel, den sie sich um den Leib geschnallt hatte. So rannten sie los, um die Mittagszeit, als die bolschewistischen Kanoniere neben ihren heißen Geschützen saßen und eine Schüssel mit Kascha auslöffelten.
    Die Gasse, in der Aaron Bubka wohnte, sah wüst aus. Ein Trümmerhaufen war sie, eine Salve hatte sie in einen wirren Berg von Balken und Steinen verwandelt. Auch das Haus Bubkas war verschwunden … er selbst, der kleine Aaron Prokopiwitsch, lag auf der Straße. »Der Luftdruck!« sagte jemand zu Nadja, die sich über Bubka beugte. »Er stand vor der Tür, als die Granate hinter ihm einschlug. Er flog durch die Luft wie eine Fledermaus und war schon tot, als er herunterkam.«
    Einen Augenblick zögerte Nadja, dann setzte sie sich neben Bubka in die Trümmer und winkte Nikolai zu sich. »Setz dich zu mir …«, flüsterte sie. »Und stell die Koffer vor mir ab …«
    Er tat es, und Nadja knöpfte den Rock Bubkas auf, seine Weste und sein schmuddeliges Hemd. Auf der bleichen, eingefallenen Brust fand sie einen flachen ledernen

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