Die Tochter des Teufels
diesem Augenblick betrat Gérard Cassini die Wohnung. Auch hier fand er die Tür offen. In der Diele prallte er auf die Hausmeisterin und ihre Tochter. Er lüftete höflich seinen Zylinder und sah sich um.
»Madame ist im Salon?« sagte er, als kenne er sich hier aus.
»Im Schlafzimmer des Kindes, Monsieur.«
»Danke.«
Cassini zögerte keinen Augenblick und öffnete die nächste Tür. Sie führte in den Salon, und er ging hinein. Die Hausmeisterin gab ihrer Tochter einen Stups und drängte sie zur Tür.
»Wer ist denn das?« fragte das Mädchen.
»Ein Kavalier von Madame. Frag nicht! Es geht dich nichts an. Gehen wir …«
Sie verließen die Wohnung und zogen die Tür hinter sich zu.
Cassini sah sich um. Im Salon brannte nur eine Wandlampe mit einem jämmerlichen Schein. Nebenan hörte er Stimmen. Er faßte wieder an seine Frackschleife, rückte den Frack zurecht und öffnete dann die Seitentür.
Von einem Kinderbett fuhr eine Frauengestalt hoch, und trotz der mangelhaften Beleuchtung erkannte Cassini, daß es La Russe war.
»Wer sind Sie?« rief sie. »Wie kommen Sie hier herein?«
»Die Türen waren offen, Madame. Und die Hausmeisterin nahm an, daß wir uns kennen. Sie nahm vorweg, wonach ich mich seit Monaten sehne …«
Nadja Gurjewa überflog mit einem Blick den Eindringling. Ein energischer Kopf mit braunen Haaren, ein Frack vom besten Schneider, die Sicherheit, die großer Reichtum bewirkt.
»Gehen Sie in den Salon«, sagte Nadja kalt. »Das Kind hat Fieber. Gleich wird der Arzt hier sein.«
Die kleine Helena sah den fremden Mann mit großen Augen an.
»Wo kommst du her?« fragte sie.
»Aus einem Schloß, mein Kleines.« Cassini blieb an der Tür stehen, während Nadja schon im Salon war.
»Ein richtiges Schloß?«
»Ja. Mit Türmen und Zinnen und einem Wassergraben und Pferden und Rittern in glänzenden Rüstungen …«
»Ist das schön! Kann ich zu dir kommen, wenn ich wieder gesund bin?«
»Ich werde dich mit einer Kutsche und zwei weißen Pferden abholen. Wie heißt du?«
»Helena Nikolajewna …«
»Ein schöner Name. Weißt du was – wenn du wieder gesund bist, schenke ich dir ein weißes Pferd …« Cassini winkte Helena zu und schloß die Tür. Nadja Gurjewa stand neben dem runden Barocktisch. Sie hielt noch immer die Rose, an der Helena geschnuppert hatte, in der Hand und schien es nicht zu merken.
»Wir haben schon Freundschaft geschlossen«, sagte Cassini und legte seinen Zylinder auf einen Sessel. »Und ich werde ihr ein weißes Pferd schenken.«
»Sie sind mir aus dem Moulin Rouge gefolgt«, sagte Nadja hart. »Vor dem Kind wollte ich es Ihnen nicht sagen: Verlassen Sie sofort meine Wohnung.«
»Gérard Cassini.« Cassini verbeugte sich höflich. »Meine Rosen sagten Ihnen, wie sehr ich Sie verehre. Ich lege Ihnen mein ganzes Leben zu Füßen. Mein Vermögen ist dabei nur eine Dreingabe.«
»Ich werde die Rosen in den Müll werfen!« sagte Nadja böse. »Gleich werfe ich sie weg.«
»Warum sind Sie so böse?« Cassini betrachtete die junge Frau in dem geöffneten Trenchcoat. Unter dem Mantel trug sie ein enges Wollkleid. Sie hat einen Körper, dachte er, von dem die großen Maler und Bildhauer träumen. Sie ist die schönste Frau, die ich jemals sah. Sie wird mich vielleicht eine Million kosten, aber sie ist es wert.
»Ich habe von einem Schloß gesprochen … es gehört Ihnen«, sagte Cassini und trat näher. »Es wird keinen Wunsch geben, der nicht schon erfüllt ist, kaum daß er gedacht wurde. Die besten Ärzte Frankreichs stehen der kleinen Helena zur Verfügung, die besten Hauslehrer, die blendendste Ausbildung. Wir haben an der Riviera ein Haus und ein Landgut in der Provence. In Florida gehört mir ein Küstenstreifen. An meiner Seite werden Sie eine ungekrönte, aber eine herrschende Königin sein.« Cassini sah in Nadjas dunkle, abweisende Augen. »Ich zähle Ihnen das alles auf, um Ihnen meine irdischen Güter darzubieten. Mein Herz kann ich Ihnen nicht zeigen …«
»Sie wollen mich kaufen«, sagte Nadja hart. »Machen Sie, daß Sie hinauskommen!«
»Ich liebe Sie! Ich weiß nicht, wer Sie sind, woher Sie kommen, wer dieses Kind ist, was hinter Ihnen liegt … was interessiert es mich? Wir lassen einen eisernen Vorhang über alles Vergangene fallen. Ihr und auch mein Leben beginnt neu …« Cassini trat nahe an Nadja heran. »Ich weiß, wie ungewöhnlich das alles ist – aber sind wir nicht auch ungewöhnliche Menschen?«
Nadja hatte sich abgewandt.
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