Die Tochter des Teufels
Pflaster des Boulevard des Batignolles. Sie fuhren die breiten Straßen hinunter zur Place de l'Etoile, wo der Arc de Triomphe wuchtig in den Nachthimmel ragte. »Wie geht es Helenuschka?«
»Am Abend, bevor ich wegging, hatte sie Fieber.« Nadja beugte sich vor. »Sie hat sich übergeben, das ganze Essen …«
»Eine Magenverstimmung …«
»Ob sie sich über Blumen freut?«
»Blumen sind immer etwas Schönes, Nadja Grigorijewna …«
»Dann kehr um, ich will die Blumen holen und ihr bringen. Irgend jemand hat mir einen großen Strauß Rosen in die Garderobe geschickt.«
»Ein Liebhaber?«
»Ich kenne ihn nicht! Und ich will ihn auch nicht kennenlernen.«
Der Wagen fuhr in eine kleine Seitenstraße, stieß zurück, wendete und fuhr zurück zum Moulin Rouge. Cassini, der am Straßenrand hielt, hatte Mühe, seinen schweren Wagen schnell genug zu wenden.
»Verrückt!« sagte er. »Die fährt zum Vergnügen durch die Straßen!«
Um so verblüffter war er, als er La Russe vor dem Moulin Rouge aus dem Wagen springen sah und das Taxi mit laufendem Motor wartete. Auch Cassini hielt und steckte sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Seine Erregung wuchs. Er war völlig außer Rand und Band, als er La Russe zurückkommen sah, im Arm einen riesigen Strauß roter Rosen.
»Meine Blumen!« sagte Cassini, zerdrückte die Zigarette und fühlte, daß ihm glühend heiß geworden war. »Sie hat meine Blumen geholt! Was soll das nun bedeuten?«
Von neuem ging die Fahrt quer durch Paris, die großen Avenuen hinunter bis zur Seine. An der Ecke der Avenue de New York und der Place de l'Alma, vor einem der großen mehrstöckigen Häuser mit den wuchtigen Sandsteinfassaden, hielt das Taxi, und Nadja Gurjewa sprang heraus. Sie schellte an der Tür, die Hausmeisterin machte auf, fragte etwas, und dann verschwanden beide in dem schwach erleuchteten Treppenhaus.
Cassini wartete auf der gegenüberliegenden Seite, ehe er ausstieg und sich an die Kaimauer lehnte. Das Taxi war ein Stück weitergefahren, weil vor dem Haus Parkverbot war, und wartete nun. Das gefiel Cassini gar nicht. Trotzdem überquerte er den Platz und betrat das große Haus. Die Hausmeisterin hatte vergessen, die Tür wieder abzuschließen. Ein grober Fehler, dachte Cassini. Was kann da alles passieren?
Er setzte seinen Zylinder gerade, kontrollierte den korrekten Sitz seiner Frackschleife und begann die breiten Steintreppen emporzusteigen.
Die Wohnung Nadja Gurjewas bestand aus vier Räumen, einer Küche, zwei Schlafzimmern und einem Wohnzimmer, das man hier Salon nannte.
Die Tochter der Hausmeisterin kam ihnen entgegen.
»Wie geht es Helena?« rief Nadja schon an der Tür. »Ist das Fieber gesunken?«
»Es hat sich nichts geändert, Madame.« Die Tochter der Hausmeisterin rieb sich die müden Augen. »Sie ist wach.«
»Mein Engel …«, sagte Nadja, als sie das Schlafzimmer Helenas betrat. »Mein kleiner Engel …«
»Mamuschka …«
Helena lag in den dicken Kissen, und ihr kleines Gesichtchen glühte. Die großen dunklen Augen glänzten im Fieber. Nadja setzte sich an das Bett, knöpfte ihren Trenchcoat auf und küßte Helena auf die schweißige Stirn.
»Hast du Schmerzen, mein Engelchen?« fragte sie.
»Der Bauch, Mamuschka, der Bauch. Jemand bohrt darin herum.«
»Der Onkel Doktor kommt gleich. Sieh einmal, was ich dir mitgebracht habe.« Sie lief zur Tür zurück, griff um die Ecke, wo auf einem Stuhl der große Rosenstrauß lag, und holte ihn ins Zimmer. Die fiebrigen Augen Helenas wurden noch größer.
»So viel Blumen, Mamuschka … Und so schön rot. Sind das Rosen?«
»Ja, das sind Rosen, mein Engel.«
»Für mich?«
»Für dich ganz allein. Freust du dich?«
»Ja, Mamuschka, sehr!«
»Riechen sie auch?«
Nadja zupfte eine Rose aus dem Strauß und hielt sie der kleinen Helena hin. Das Näschen schnupperte, und dann schüttelte Helena den Kopf.
»Nichts, Mama.«
»Weil du krank bist, mein Liebes. Aber nachher kommt der Onkel Doktor, und morgen ist das Fieber weg, und du kannst die Rosen riechen.«
Nadja hielt die heißen Hände der Kleinen und sah über das glühende Köpfchen hinweg gegen die Wand.
Mein Gott, dachte sie. Laß es nichts Ernstes sein. Laß sie wieder gesund werden. Was wäre mein Leben ohne das Kind? Ich lebe ja nur für dieses Kind. Es ist das einzige Erbe, außer der Erinnerung, das mir Nikolai hinterlassen hat. Für sie wäre ich bereit, eine Welt zu erobern … mit Feuer und Schwert, wenn es nötig ist.
In
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