Die Tochter des Teufels
sprechbereites Telefon.
»Hören Sie, Doktor«, sagte eine Stimme im Telefon. Sie sprach kurz und bestimmt. »Ich weiß, daß Sie auf Ihrem Haus fünfzehntausend Francs Schulden haben. Ihr Sohn ist ein Lump, der sich am Mittelmeer herumtreibt und Schecks mit Ihrem Namen fälscht, die Sie einlösen, damit auf Ihren Namen keine Schande fällt. Ich bezahle Ihnen Ihre Schulden.«
»Monsieur …«, stotterte der Arzt. Er setzte sich auf den neben dem Telefon stehenden Stuhl. Die Beine wurden ihm weich. »Ich weiß wirklich nicht, was das alles soll …«
»Ich verlange von Ihnen einen Dienst. Sie werden – wenn es nötig ist – einen Blinddarm herausnehmen müssen.«
»Im Spital …«
»Bei mir.«
»Im Schloß?«
»Es wird im Augenblick alles hergerichtet. Die chirurgischen Werkzeuge und alles, was dazu gehört, haben Sie. Ein Wagen ist unterwegs, um aus der Sanitätsstation meiner Eisengießerei den Operationstisch zu holen. Er ist in einer Stunde hier … können Sie dann operieren?«
»Wer … wer soll denn operiert werden …«, stotterte der Arzt. Er schwitzte vor Aufregung wie in einem Dampfbad.
»Das werden Sie noch sehen.« Die Stimme war befehlsgewohnt und duldete keine weiteren Fragen mehr. »Es kann sein, daß wir es gar nicht brauchen, aber ich will für alles gewappnet sein. Ist alles klar?«
»Nein …«, stammelte der Arzt.
»Was nicht?«
»Warum kein Hospital …?«
Die Stimme antwortete nicht mehr. Es knackte. Mit zitternder Hand legte auch der Arzt den Hörer auf. Hilflos sah er sich um. Der Butler, der bisher an der großen hölzernen Treppe gestanden hatte, stumm wie eine der eisernen Rüstungen, winkte.
Er ging voraus. Mit dem Gefühl, von einer unsichtbaren Sonne ausgetrocknet zu werden, folgte ihm der Arzt. Sie kamen in eine große gekachelte Küche, die man gerade ausräumte. Ein Diener schrubbte den Kachelboden, ein Gärtner die gekachelten Wände. Es stank ätzend nach Lysol.
»Wo soll der Operationstisch stehen?« fragte der Butler. »Wohl am besten in der Mitte. Dort können wir von oben die starken Lampen anbringen.«
Der Arzt nickte. »Ja, in der Mitte. Natürlich.«
Nicht fünfzehntausend Francs Schulden sind es, dachte er plötzlich. Vierundzwanzigtausend sind es! Er hat wieder gespielt und verloren! Oh, wenn ihn doch der Blitz erschlüge oder ein Auto überführe. Aber die Lumpen leben am längsten, so ist es immer!
»Geben Sie mir einen Cognac!« sagte er heiser. »Nur einen. Ich brauche einen klaren Kopf …«
Der Butler ging und holte ihm ein kleines Glas voll, das er in schnellen Zügen leertrank.
Während ein Lastwagen mit einem Operationstisch durch die Nacht raste, fuhr ein großer Reisewagen mit dicken Polstern nach Paris hinein. Auf dem Hintersitz lagen Kissen und Decken. Die beiden Männer, die vorn saßen, hatten weiße Ärztemäntel an und rauchten schweigend. Ab und zu sahen sie auf die Uhr und fuhren langsamer. Sie hatten Zeit. Im Osten wurde der Himmel fahl. Ein Frühlingstag klomm aus der Dunkelheit. Wie ein Scherenschnitt ragte davor der Eiffelturm empor.
»Es wird heute früh hell«, sagte der eine.
Und der andere nickte.
Im Moulin Rouge war die Stimmung auf dem Höhepunkt. Die Girls waren abgetreten, im Ballsaal tanzten Hunderte den neuesten Tanz aus Amerika, den Jimmy. Der Champagner schäumte in den Gläsern, die Mädchen lachten girrend, ein Herr im Frack tanzte ein Solo und warf die Beine hoch, bis er auf den Rücken fiel und von der Tanzfläche gezogen wurde. In den Nischen küßten sich Liebespaare, schimmerten nackte Schultern und noch mehr … Zum Teufel, man hatte den Krieg gewonnen, man hatte am Krieg verdient, und wenn nun die Weltwirtschaftskrise kam, wen ging es was an? Noch rollte der Franc, und kam wirklich einmal die Sintflut … nun denn, so lebt heute, als gehe morgen die Welt unter, Freunde! Nach uns das Chaos, damit andere Generationen auch was zu tun haben!
In ihrer Garderobe saß Nadja und wartete auf ihren letzten Auftritt. Sie löste die Haare und ließ sie lang über die Schulter fallen. Von fern hörte sie die Musik aus dem großen Saal und das Gelächter der Gäste. Das war immer, wenn die Tür zur Bühne sich öffnete und die Girls abtraten.
Sie zuckte zusammen, als die Tür aufgerissen wurde. Aber nicht die Garderobiere stand dort, sondern Saparin, und er sah schrecklich aus.
Das Haar hing ihm ins Gesicht, er schwitzte, seine Augen rollten, und mit dem Kinn machte er mahlende Bewegungen. Er war außer Atem und
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