Die Tochter des Teufels
Geschenken der Zarin.«
»Wer weiß das?«
»Keiner.«
»Wirklich keiner? Auch nicht der Chauffeur, dieser Graf Saparin?«
»Niemand. Boris Michailowitsch wäre der einzige … aber auch er weiß es nicht. Auch Helena wußte es nicht.«
In der Wohnung hatte sich Lärm erhoben. Es hörte sich an, als brülle jemand mit allen Anwesenden und beschimpfte sie. Boité öffnete die Tür und sah den tobenden Dr. Rampal, der gerade die Hausmeisterin anschrie.
»Mit einem Personenwagen!« schrie er und hüpfte von einem Bein auf das andere. »Wer transportiert Kranke in einem Personenwagen? Welche Klinik holt die Kranken nicht mit ihrem Krankenwagen ab?«
»Aber die weißen Hosen …«, schrie die Concierge zurück. »Und die weißen Mäntel, die Trage …«
»Zum Teufel mit den weißen Hosen!« Dr. Rampal warf sich in einen Sessel und atmete schwer. »Ein Bett war freigehalten worden im Hospice Leprince. Das liegt am nächsten.«
»Von dort ist keiner gekommen«, sagte Boité und kam näher. Dr. Rampal sprang wieder auf wie ein Gummiball.
»Aha! Der große Kriminalist! Was sagen Sie nun, Boité? Man stiehlt ein todkrankes Kind!«
»Nehmen Sie Rücksicht auf die Mutter, Rampal!« sagte Boité finster. Er verstand die Anspielung. »Ich sagte schon zu Madame, daß diese Tat kein Motiv hat!«
»Und damit sind Sie am Ende, was?« Dr. Rampal schlug die Hände zusammen. »Wenn die Kleine nicht bis Mittag operiert wird, perforiert der Appendix, und dann ist alles aus!«
»Sie sind ein gefühlloser, roher Patron!« schrie Boité.
Dr. Rampal sah Nadja in der Tür stehen und hob die Schultern. »Pietät ist etwas, das man braucht, wenn man der Umwelt bei einem Begräbnis Ergriffenheit vorspielen muß! Hier ist das Blödsinn! Hier müssen wir die Wahrheit sagen! Und Sie, Boité, sollten etwas tun! Nicht am Schreibtisch sitzen und warten, bis Ihnen der Zufall den Täter frei Haus serviert. Halten Sie den Kopf hin, Boité: Gehen Sie in die Öffentlichkeit! Pressekonferenz! Fall schildern! Und den Tätern sagen: Das Kind ist todkrank. Geld ist nicht zu holen! Kommt das Kind um, ist es Mord, und dafür gibt es nur eins: Kopf unters Fallbeil! Und rufen Sie ganz Paris auf, mitzusuchen! Zwei Millionen Augen sehen mehr als Sie mit Ihren kurzsichtigen Linsen!«
Kriminalrat Boité sah seine Beamten an. Dann sagte er zu Nadja: »Wir werden alles tun, was nur möglich ist, Madame. Ihr Kind muß operiert werden … das werden auch die Entführer erkennen. Und es wird in ganz Frankreich keinen Arzt geben, der sich nicht meldet, wenn er ein Kind operiert hat, das man überall sucht! Und dann haben wir die Spur!«
»Ein naives Gemüt!« Dr. Rampal setzte sich wieder in den Sessel. Aber er war ehrlich genug, zu gestehen, daß auch er keinen anderen Weg wußte.
Einige Nächte mußte das Moulin Rouge auf seinen Star La Russe verzichten. Wegen Krankheit, hieß es offiziell.
Vier Tage lang blieb Nadja Gurjewa in ihrer Wohnung, saß vor dem Telefon und wartete. Alle, von Dr. Rampal angefangen bis zu Kriminalrat Boité und Graf Saparin, hatten ihr versichert, daß sich der Entführer melden würde. Saparin hatte zu diesem Zweck sogar sein Taxi an einen Kollegen vermietet gegen zwanzig Prozent Beteiligung. Das war ein großer Verlust für einen armen russischen Emigranten, aber es war ganz unmöglich, Nadja in diesen Tagen allein zu lassen.
Nadja nahm kaum etwas zu sich. Mit hohlen, leergeweinten Augen saß sie am Fenster ihrer Wohnung und starrte hinüber zum Eiffelturm. Saparin erriet ihre Gedanken und schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, wie viele sich schon herabgestürzt haben«, sagte er. »Aus Liebeskummer, wegen unheilbarer Krankheit, aus Lebensangst! Eine Nadja Gurjewa stürzt sich nicht herunter! Jede andere … nicht die Tochter Rasputins …«
Am fünften Tag klingelte das Telefon wieder. Saparin sprang auf. Die Stimme der Hausmeisterin, die von ihrer Hauszentrale aus die Gespräche zu den Wohnungen vermittelte, war heiser vor Aufregung.
»Los! Umschalten!« sagte Saparin barsch. Dann hielt er die Sprechmuschel zu und winkte Nadja. Mit beiden Händen fuhr sie sich zum Herzen. Ihre Augen wurden groß und farblos vor Schreck.
»Ja?« sagte Saparin. »Ich höre. Danke. Ich gebe es weiter.« Er legte den Hörer auf und wandte sich zu Nadja um. »Er war es!«
»Und was ist mit Helena? Wo ist sie? Was verlangt er?« schrie Nadja.
Saparin schüttelte den Kopf. »Nichts. Er sagte gar nichts. Er sagte nur: Ich wollte wissen, ob
Weitere Kostenlose Bücher