Die Tochter des Teufels
gewesen, daß sie manchmal glaubte, sie habe nur geträumt. Aber die Entweihung ihres Körpers, die Gewalt, mit der der Unbekannte sie zur Liebe gezwungen hatte, der verzweifelte Zweikampf vor dem breiten, von einem Baldachin überspannten Bett, das ekelhafte Geräusch, mit dem ihr Kleid unter seinen Fingern zerriß, und sein Liebesgestammel, als sie, mit Galle im Mund vor Ekel, von ihm bezwungen war, das alles klebte wie nie abzuscheuerndes Pech an ihr.
Und dann das Ende dieser Höllennacht. Sie hatte versucht, seine Maske vom Gesicht zu reißen, als er erschöpft neben ihr lag und sich sein breiter Brustkorb heftig atmend hob und senkte.
Aber er war schneller gewesen. Er hatte sich auf sie geworfen und ihre Hände weggeschlagen.
»Du Schuft!« hatte sie geschrien, und das war das letzte, woran sie sich erinnerte. »Du Satan! Du Schuft!«
Aufgewacht war sie auf einer Bank im Bois de Boulogne. Angezogen, gekämmt, so, als habe sie nur ein wenig geschlafen, übermannt von der Frühjahrsmüdigkeit. Die Morgensonne schob sich über den blauen Himmel von Paris; die ersten Reiter trabten über die Reitwege. Von den Ställen wurden die Rennpferde zum Trainingsplatz von Longchamp geführt. Und es roch nach Linden und betautem Farn.
Mit einem Schrei fuhr sie hoch und tastete um sich, ehe sie begriff, wo sie sich befand. Sie sprang auf, und alle Qual der Erkenntnis, betrogen und verraten worden zu sein, schrie aus ihr.
»Helena! Helena! Oh, ihr Schufte! Ihr Teufel! Ihr … ihr … Mörder …« Sie sank auf die Bank zurück, schlug die Hände vor die Augen und weinte laut und haltlos. Ein paar Reiter, die an ihr vorbeitrabten, sahen mit einem breiten Lächeln zu ihr hinab. So was kommt vor im Bois de Boulogne, dachten sie und ritten weiter.
Nadja zog sich an der Banklehne hoch und sah mit leeren Augen um sich. Noch einmal, wie ein Tier, dem man das Junge weggenommen hat, rief sie in den Wald. »Helena! Helenuschka …« Aber nur der Morgenwind raschelte in den Zweigen, und Antwort gab das Hufestampfen der Pferde. Da ging sie quer durch den Wald, laut weinend, legte ab und zu den Kopf gegen die rauhe Rinde der Bäume und wünschte sich den Tod.
Ihr Opfer war umsonst gewesen. Der Betrug an ihr war eine Wunde, die nie heilen konnte. Warum sollte man weiterleben?
Aber sie lebte weiter. Sie erreichte nach einer Stunde die Straße, die zum Rennplatz Longchamp führte, winkte ein Taxi heran und ließ sich nach Hause fahren.
Seit diesem Tag hatte sich Nadja Gurjewa verändert. Mit dieser Nacht war alles in ihr erstorben. Ihr Stolz war zertrümmert, ihre Moral zerrissen. Aus der Asche ihrer Jugend, die in dieser Nacht begraben worden war, stieg eine Frau, die berechnend und eiskalt war …
»Sie hatten recht, Boris Michailowitsch«, sagte sie zu Saparin. »Das Leben ist ohne Ideale. Man frißt oder wird gefressen. Ich werde auf Seiten derer sein, die fressen!«
Von Helena hatte sie nichts mehr gehört. Kriminalrat Boité verhörte sie stundenlang und stellte hundert Fragen … Nadja war nicht in der Lage, den Unbekannten zu beschreiben. Die Einrichtung des Hauses, von dem sie sprach, half auch nicht weiter. Um Paris herum gibt es mehr Villen als sonst in einer Stadt der Welt.
Es sprach sich bald herum, daß La Russe eine andere geworden war. Noch kannte keiner ihren wahren Namen, aber sie nahm Huldigungen entgegen, Blumen und Geschenke. Und acht Tage nach der grauenhaften Nacht nahm sie zum erstenmal eine Einladung an, nach dem Tanz ein Glas Sekt zu trinken.
Als sie ohne Maske, in einem langen, fließenden weißen Abendkleid, die Haare aufgesteckt, im Saal erschien, als man zum erstenmal ihr Gesicht sah, dieses ebenmäßige, schmale, stolze Gesicht mit den großen glühenden dunklen Augen, stockte den Zuschauern der Atem.
Der Glückliche dieses Abends hieß Jean Gabriel. Er hatte vier Banken in Paris, Marseille, Bordeaux und Lyon, ein Gestüt, ein Landgut in der Bretagne, ein Schloß an der Loire und eine große Luxuswohnung auf der Avenue Foch im berühmten, reichen 12. Bezirk von Paris. Jean Gabriel war fünfzig Jahre alt, groß und etwas dicklich, und er sah so aus, wie Millionäre auszusehen haben: zufrieden, mit grauen Schläfen, in den besten Anzügen von den besten Schneidern, galant und berechnend. Er schwitzt Geld, sagte man von Gabriel.
Gérard Cassini, der an diesem Abend auch im Moulin Rouge war, kam an dem Tisch vorbei, an dem Nadja mit Gabriel in fröhlichster Stimmung Champagner trank. Er blieb stehen,
Weitere Kostenlose Bücher