Die Tochter des Teufels
breitete die Arme aus und sagte traurig: »Amerika formt die Menschen nach ihrer Veranlagung. Ich wußte nie, daß ich ein verfluchter Chemiker bin!«
Ein wenig später, in dem Zimmer, das erbärmlich war und Saparin Tränen in die Augen trieb, wenn er an Nadjas Wohnung an der Avenue de New York in Paris dachte, saß er auf dem zerschlissenen Sofa und breitete große Geldscheine auf den Tisch.
»Das habe ich gespart«, sagte Saparin. »Zweitausend Dollar. Ich habe sie behütet und hätte jeden darum erschossen! Nun habe ich euch gefunden, und es wäre zu überlegen, ob wir nicht das nächste Schiff nehmen und abdampfen zurück nach Europa.« Er sah, wie Nadja sich abwandte und aus dem Fenster blickte, und er wußte, daß auch sie Sehnsucht nach Paris hatte. Aber sie gab es nicht zu. Wie ihr Vater war sie, der alles erzwingen wollte und daran zugrunde ging.
Saparin raschelte mit den Geldscheinen. »Paris …«, sagte er mit weicher Stimme. »Weißt du noch, wie du nachts am Arc de Triomphe standest und hinuntersahst zur Place de la Concorde, die ganzen beleuchteten Champs-Elysées entlang, und du sagtest: ›Das ist eine Straße in den Himmel …‹«
»Warum bist du so grausam, Boris Michailowitsch?« fragte Nadja, ohne sich umzudrehen.
»Ich weiß, daß du Heimweh hast. Ich habe es doch auch, bei Gott! Ein Russe kann in Petersburg oder Paris leben, heißt es … und wir sind in Dallas! Wir gehören einfach nicht hierher! Laß uns wegfahren, Nadja Grigorijewna …«
Es war lange still zwischen ihnen, und Saparin wußte, daß diese Stille durchtobt war von einem inneren Kampf.
»Wir fahren!« sagte Nadja plötzlich. Es war Saparin, als steche man ihn in den Hosenboden. »Der Vertrag läuft am Monatsende ab … dann fahren wir …«
»Hurra!« schrie Saparin, sprang auf und begann zu tanzen. Er stampfte nach Kosakenart über die Dielen und stieß schrille Schreie dabei aus. »Hurra! Hurra! Heij – heij! Wir fahren! Wir fahren!«
Und er riß Nadja an sich und hüpfte mit ihr, drehte sich im Kreis, schlug in die Hände und sang mit heller, zitternder, in Freude erstickter Stimme, und Nadja tanzte um ihn herum wie eine sibirische Bauernmagd nach dem Osterfest.
»Wir fahren! Wir fahren! Heij! Wir fahren zurück nach Paris …«
Zum erstenmal an diesem Abend wollte Nadja ihre neue Nummer vorführen. Noch nicht nackt, aber sie trug sehr wenig auf dem Körper, als sie probte. Nur ein enges Flitterkostüm verhüllte sie, und während sie tanzte, sollte dieses Kostüm von ihr abfallen, bis ihr weißer Körper zwischen den braunen Löwenleibern glänzte und am Ende des Tanzes ermattet auf dem Rücken Alis zusammensank.
»Hundert Dollar pro Abend!« sagte der Varietémanager nach der ersten Probe und klopfte dem einsilbigen Castor auf die Schulter. »Und im Winter am Broadway … das ist sicher! Ich stelle Sie ganz groß 'raus! Gratuliere, daß Sie den richtigen Job entdeckt haben! Jetzt wird es Geld regnen, Boy! So was wollen die Leute sehen!«
Saparin hatte unterdessen andere Sorgen. Er sah seine Rückkehr gefährdet durch die neuen Aussichten, viel Geld zu verdienen. Desungeachtet kaufte er schon die Schiffskarten und rannte herum, um sich zu erkundigen, ob man sich wieder impfen lassen müßte. Er war fröhlich, als er erfuhr, daß dies nicht nötig sei und man nur ein ärztliches Zeugnis brauchte, daß man nicht die Syphilis habe.
So kam der Tag der Generalprobe. Saparin stand am Käfig, die Scheinwerfer warfen ein rötliches Licht in die kleine Bühnenmanege, über das Sägemehl hatte man eine bemalte Zeltbahn gelegt, die eine glühende Sonne zeigte. Statt des Orchesters sorgte ein junger, schwindsüchtiger Klavierspieler für Musik.
»Fangen wir an!« sagte Castor und betrat die Manege. Ali und Sultan hockten auf ihren Podesten. In der Seitenkulisse stand Nadja in ihrem durchsichtigen Flitterkostüm, und es kam Saparin vor, als habe er sie noch nie so schön gesehen.
»Musik!« rief Castor.
Der schwindsüchtige Klavierspieler begann zu klimpern. Nadja kam aus der Kulisse. Die Tür flog auf, und dann war sie zwischen den Löwen, die von den Podesten sprangen, sie umkreisten, die Tanzende mit wiegenden Köpfen begleiteten und ab und zu aufbrüllten, wenn sie ein Bein über ihre Schädel schwang oder sich niederbeugte und sie zwischen die glitzernden Augen küßte.
Der Jüngling am Klavier hämmerte sich die Seele aus dem Leib. »Jetzt kommt die Stelle, wo ich alles abwerfe!« rief Nadja mit keuchendem
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