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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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breiter … die ersten Häuser … die verschneiten Alleen … die Palais der Großfürsten … rote Fahnen wehten jetzt auf den Dächern … die Parks … das Alexandra-Schloß … Zarskoje Selo, der goldene Käfig ihrer Jugend, die glücklichen Jahre in der Familie des Zaren … die Liebe zu Nikolai Gurjew … der Silvesterball … der erste Kuß.
    »Passieren!« rief eine Stimme. Nadja schrak hoch. Der Wagen fuhr durch das Gittertor in das Innere des Parks. Überall Soldaten, lachend und rauchend, die Gewehre auf dem Rücken, rote Binden um den Arm. Und dazwischen Offiziere, die man dem Zaren als Begleitung gelassen hatte …
    Der Wagen hielt mitten im Park, in der Nähe der Seraphinkapelle.
    »Aussteigen!« sagte der Glatzkopf.
    Er faßte Nadja am Ärmel ihres Pelzes und zog sie mit sich durch den hohen Schnee. »Komm schon!« keuchte er.
    Nadja starrte auf das Bild vor sich. Grauen schüttelte sie. Das Grab Rasputins war geöffnet, die Erde hatte man in kleine Hügel verteilt. An Seilen war der Sarg hochgezogen worden und stand nun auf einem Brett im Schnee. Zwei Matrosen und ein Offizier mit roter Binde waren gerade dabei, den Deckel aufzuschrauben.
    »Nein …«, stammelte Nadja. »Nein … o nein …«
    Sie schwankte, der Park wurde dunkel vor ihr, die Stimmen um sie herum tönten wie fallendes Wasser.
    »Ich werde dich erschießen, wenn du nicht weitergehst«, drohte der Glatzkopf leise.»Sie warten auf das Schauspiel. Sie bringen mich um, wenn du nicht weitergehst …«
    Mit festen Schritten betrat Nadja den Kreis der Soldaten. Die Matrosen hoben den Sargdeckel ab … und da lag er, kaum verändert, etwas gelber im Gesicht, unter dem Bart eine Ikone, auf der geschrieben stand: ›Alice, Olga, Anna.‹
    »Väterchen …«, sagte Nadja leise und faltete die Hände. »Daß ich dich noch einmal sehe …«
    Dann erstarrte sie, regungslos stand sie im Schnee wie ein Eisblock, aber ihre Augen sahen alles, und in ihre Seele brannte es sich ein: Soldaten rissen den Leichnam Rasputins aus dem Sarg, warfen ihn in den Schnee, bespuckten ihn, flochten Zöpfchen in seinen Bart und zogen ihm die Hosen herunter. »Laß sehen, ob er wirklich so stark war, daß ihm alle Weiber nachliefen!« schrie jemand. »Wer hat ein Metermaß? Ich will nachmessen!«
    Grölen und Lachen umrauschte Nadja, sie wurde gestoßen, mit unflätigen Worten überschüttet, mußte nahe herantreten und hinuntersehen auf die geschändete Leiche. Und sie tat es, starr und ohne sichtbares Gefühl … Mit steifen Beinen ging sie hinterher, als man die Leiche wegtrug, auf einen Wagen warf und den Park von Zarskoje Selo verließ. Am Gittertor wartete wieder der Glatzkopf und schob Nadja in sein Auto.
    Sie setzte sich wie eine Puppe, der man die Beine einknickt. Durch den Ort ging die Fahrt zurück nach Petersburg. Kurz vor Udelnaja bog die Kolonne in einen Waldweg ein und hielt auf einem großen Holzeinschlagplatz. Dort hatte man einen Scheiterhaufen errichtet, aus gutem, trockenem Holz, das mit Petroleum getränkt war. Auch hier warteten Revolutionssoldaten und Zivilisten, wärmten sich an Lagerfeuern und tranken Schnaps.
    Vier Männer trugen den Leichnam Rasputins auf den Holzstoß, deckten ihn mit Knüppeln zu und bespuckten ihn. Der Glatzkopf zog Nadja wieder aus dem Wagen und schob sie vor sich her. Ein Zivilist mit gepolsterter Lederjacke und einer Pelzmütze erwartete sie am Holzstoß. Der Glatzkopf reckte sich.
    »Die Tochter, Genosse Revolutionsrat!« sagte er laut.
    Der große schlanke Mann in der Lederjacke sah Nadja lange und wortlos an. Sie erwiderte seinen Blick, kalt, hart, fast hochmütig.
    »Hier!« sagte der Revolutionär plötzlich. Er stieß eine Fackel in ein Feuer, ließ sie anbrennen und reichte sie Nadja hin. Das Pech qualmte schwarz, die Flamme zuckte. »Steck ihn an!«
    Nadja streckte den Arm aus und ergriff die lodernde Fackel.
    Eine Sekunde lang dachte sie daran, die Fackel dem Mann mit der Lederjacke blitzschnell ins Gesicht zu stoßen. Aber was nutzte das? Man würde sie töten, und den Scheiterhaufen steckte ein anderer an.
    »Er friert!« sagte der Mann in der Lederjacke hämisch. »Gib ihm etwas Wärme, Töchterchen …«
    Nadja umkrallte die Fackel. Mit vier langen Schritten war sie am Holzstoß, hob die Fackel hoch, als grüße sie damit den Himmel … dann stieß sie die Flamme in den Holzstoß und ließ die Fackel los. Das mit Petroleum getränkte Holz flammte auf, blaue Glut zischte hoch, umgab mit einem Feuerwall die

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