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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sie wurde in ihrem Haus in Petersburg festgehalten.
    Und durch die Straßen zogen die Massen … die Opfer der Revolution wurden begraben … 184 Särge wurden durch Petersburg getragen, umlodert von Fackeln, begleitet von 184 Kanonenschüssen … rote Fahnen wehten im Eiswind, Transparente knatterten … ›Land und Freiheit‹ … ›Proletarier aller Länder, vereinigt euch!‹ … ›Ewiges Gedenken denen, die für die Freiheit gefallen sind‹ … Und die Massen sangen, Zehntausende waren es, ein schwarzer Strom, der die Straßen überschwemmte … sie sangen die Hymnen der Revolution, die Internationale, die Warszawianka, die Marseillaise …
    Nadja stand am Fenster ihres Zimmers und starrte hinunter auf die Straße und die Menschen. War Rußland erwacht, oder tanzte es jauchzend in den Abgrund, aus dem es keinen Wiederaufstieg gab?
    So kam der 23. März 1917.
    Im Haus entstand Lärm. Der dicke Glatzkopf polterte durch die Zimmer, spuckte die Wyrobowa an, die ihn fragte, was er hier wolle, und riß die Tür zu Nadjas Zimmer auf.
    »Aha!« schrie er. »Das ist eine Neuigkeit! Stimmt es – du bist eine gehurte Tochter Rasputins? Antworte!«
    Nadja Grigorijewna sah den Glatzkopf groß an. Es war ein Blick, der im Gehirn brannte, und der Revolutionär sah zur Seite, weil er spürte, wie Verlegenheit in ihm hochkroch.
    »Ja«, sagte Nadja fest. »Ich bin eine Tochter Rasputins. Doch hören Sie …« Sie nahm von einem kleinen Tisch einen schweren silbernen Kerzenleuchter. »Wer meine Mutter eine Hure nennt, dem zertrümmere ich den Kopf!«
    »Ein stolzes Vögelchen!« schrie der Glatzkopf. »Frech wie der Vater! Aber das soll anders werden … wir haben Methoden, daß du wie ein Wurm umherkriechst! O ja, Methoden haben wir!« Er winkte und trat von der Tür weg. »Mitkommen!«
    »Wohin?« fragte Nadja kalt. Sie rührte sich nicht.
    »Wir machen eine Fahrt, mein Täubchen. Eine Spazierfahrt durch den Winterwald. Die Sonne scheint, die Glöckchen klingen, die Gäulchen traben … so gefällt es dir doch, nicht wahr?« Er winkte wieder ungeduldig. »Los, anziehen! Nimm Gepäck mit! Du kommst woandershin!«
    Ohne Widerrede packte Nadja eine große Reisetasche. Es hatte keinen Sinn, sich zu wehren. Sie nahm nur das Notwendigste mit, zwei Kleider, Unterwäsche, Schuhe. Die wertvollen Kleider ließ sie im Schrank … die Zeit der Spitzen und Rüschen, des Samtes und des Brokats war vorbei. Sorgfältig schichtete sie die einfachen Kleider in die Tasche. Wer ahnte, daß in den Nähten die Perlen, Brillanten und Edelsteine eingenäht waren, die sie vom Zar und der Zarin erhalten hatte? Wer wußte, daß zwischen den Sohlen der Schuhe die fünftausend Rubel lagen?
    Der Glatzkopf saß auf einem Stuhl, beobachtete sie und rauchte. »Fertig?« fragte er, als sie die Tasche zuschnürte.
    »Ja!«
    »Gehen wir.«
    Sie verließen das Haus, ohne daß Nadja noch einmal die Wyrobowa sah.
    Auf der Straße wartete ein Auto mit einem roten Lappen auf dem Dach. Zwei Revolutionäre, Matrosen mit Gewehren und Bajonetten, saßen schon im Fond.
    »Einsteigen!« sagte der Glatzkopf knapp. Er warf die Reisetasche den Matrosen zu, kletterte hinter das Steuer und ließ von einem vor dem Haus stehenden Wächter den Motor anwerfen.
    Nadja setzte sich, klappte den Kragen ihres Pelzes hoch, drückte die Pelzkappe tiefer in die Stirn und lehnte sich zurück. Der Wagen ratterte, zitterte und fuhr dann langsam durch die Straßen, die übersät waren mit Zeitungen, roten Bändern, weggeworfenen Schulterstücken und Orden. Sogar an einem Toten fuhren sie vorbei.
    »Du fragst nicht, wohin wir fahren?« sagte der Glatzkopf.
    »Es interessiert mich nicht.« Nadja starrte geradeaus. Ihr schönes Gesicht war kantig und voll Entschlossenheit.
    »Wenn wir dich nun töten?« fragte der Glatzkopf.
    »Ihr könnt es. Ihr habt die Macht.«
    »Wenn wir dich in einen Wald fahren, dich schänden und aufhängen?«
    »Wer will euch hindern? Wenn euch ein Mädchen so gefährlich ist?«
    »Du bist kein Mädchen!« schrie der Glatzkopf. »Du bist eine Tochter des Teufels!«
    Sie fuhren eine Stunde, als Nadja die Gegend plötzlich bekannt vorkam. Dieser Wald, diese Straße … Sie richtete sich auf und sah sich um.
    »Das ist der Wald von Pergolowo«, sagte sie. Der Glatzkopf nickte.
    »Wir fahren ja nach Zarskoje Selo!« rief sie.
    »Ein kluges Köpfchen.« Der Glatzkopf lachte rauh. »Ein nettes Spielchen wird man spielen! Man wartet nur auf dich …«
    Die Straße wurde

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