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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verkrümmte Gestalt Rasputins, knisterte, ergriff den Bart, die Haare, die ausgebreiteten Arme, die Hände, die einmal heilen konnten.
    »Väterchen!« sagte Nadja und sah auf die brennende Gestalt. »Väterchen … ich bin glücklich, daß ich dich begraben kann.«
    Sie schwankte, die Flammen kamen näher, weit breitete sie die Arme aus und stürzte in sich zusammen. Der Glatzkopf war es, der Nadja auffing und aus dem Feuerkreis zog. Nach vorn wäre sie gefallen und mit verbrannt.
    Er schleifte sie zum Auto, legte sie auf die Hintersitze und breitete eine Decke über die Bewußtlose.
    Umgeben von schweigenden Soldaten und Revolutionären verbrannte der Holzstoß mit Rasputin zu Asche. Man sammelte sie in einem großen Karton und nahm sie mit nach Petersburg.
    Am frühen Morgen des 25. März, beim Morgengrauen, unter einem Himmel wie Blei, ging Nadja Grigorijewna durch die leeren, vereisten Straßen Petersburgs. Zwei Soldaten gingen ihr voraus … zwei Soldaten schritten an ihren Seiten … zwei Soldaten folgten ihr … eingekreist tappte sie in hohen Fellstiefeln durch die Morgendämmerung. Man hatte einen Strick um ihren Nacken gebunden, und an diesem Strick hing der Karton mit der Asche Rasputins. Außerhalb des Soldatenringes ging der Glatzkopf, tief vermummt. Man sah ihm an, daß er sich nicht ganz wohl fühlte.
    »Anfangen!« sagte er laut und heiser, als sie den Newski-Prospekt erreicht hatten. »Los, anfangen! Die Straße der Revolution darf nicht glatt sein! Die Straße der Revolution ist sauber! Hier rutscht keiner aus! Anfangen!«
    Nadja atmete tief auf. Dann griff sie mit der Hand in die Asche ihres Vaters und begann sie auf das Eis der Straße auszustreuen.
    Ganz langsam ging sie, mit leeren Augen, eine Maschine, die man in Gang gesetzt hatte.
    Der Newski-Prospekt. Der Schlitten, mit dem sie durch die Stadt fahren, die kleine, wie im Märchen staunende Nadja, und der Vater, stark, lachend, mit wehendem Bart, die Urkraft Sibiriens.
    Die St.-Isaaks-Kathedrale.
    Weißt du noch, Väterchen, wie du gebetet hast und ich die goldenen Ikonenwände bestaunte?
    Der Platz vor der Admiralität. Die Newa. Die Brücken.
    Nadja blieb stehen. Ihre Hände sanken herab.
    »Der Karton ist leer …«, sagte sie tonlos.
    »Wahrhaftig!« Der Glatzkopf trat in den Kreis der Soldaten, hob den Karton hoch, stülpte ihn um und warf ihn dann weg in einen Hauseingang.
    Man führte sie in ein Haus, in einen Keller, gab ihr heißen Tee und ließ sie allein.
    Das Haus des Leinenwebers Leontij Abramowitsch Rutschkin lag im Armenviertel der Stadt, zu den großen Fabriken hin. Leontij war ein alter Revolutionär, der sogar schon 1908 einmal verurteilt worden war, weil er auf den Zaren schimpfte. Er war der erste, der eine rote Fahne trug, und er war auch einer der ersten, der am 25. Februar bei der Ausrufung des Generalstreiks verwundet wurde.
    »Genosse, du wirst eine große Aufgabe bekommen!« hatte man ihm im Revolutionsrat gesagt. »Du bist jetzt fünfzig Jahre alt, hast keine Kinder, aber große erzieherische Fähigkeiten. Bei uns darf nichts brachliegen … du wirst eine Tochter bekommen und sie erziehen! Im Geist des Volkes!«
    Leontij Abramowitsch schluckte mehrmals, und dann fragte er vorsichtig: »Wie alt ist die Tochter, Genossen?«
    »Neunzehn Jahre! Nadja ist die Tochter Rasputins! Eine Genossin sollst du aus ihr machen! Wir brauchen sie zur Propaganda! Vom Zarenhof zur Roten Fahne – die Tochter des Teufels Anführerin einer werktätigen Brigade … das ist ein Schlagwort! Das geht in die Gehirne! Verstanden? Du erziehst das Mädchen zu einer Kommunistin!«
    Und Leontij Abramowitsch seufzte, holte Nadja aus dem Keller, in dem sie zwei Tage lang gewartet hatte, und nahm sie mit nach Hause.
    Zwei Tage später saß Nadja am Geländer der breiten Palastbrücke, die über die Große Newa führt. Vor sich hatte sie einen kleinen runden Eisenofen stehen, in dem Holzkohle glühte. Auf einem Rost über der Glut lagen, in Reihen nebeneinander, dicke Eßkastanien und brieten gar.
    »Kastanien!« rief sie den Vorbeigehenden zu. »Heiße Kastanien. Nur fünfzig Kopeken die Tüte. Kastanien! Heiße Kastanien …«
    Von früh um neun bis abends um zehn saß sie auf der Brücke vor ihrem glühenden Öfchen. Rutschkin brachte ihr zweimal am Tag das Essen … eine Suppe, die sie auf dem Rost aufwärmte, meistens eine saure Kohlbrühe.
    »So ißt das Volk seit tausend Jahren!« schrie Rutschkin jedesmal. »Und wenn wir uns beschwerten, was

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