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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Schultern hoch. »Die Polizei in Tjumen …«, setzte er an. Er kam nicht zu Ende. Die Reitpeitsche zischte durch die Luft. Auf der linken Backe schwoll eine neue blutige Strieme.
    »Hinaus!« wiederholte Gurjew.
    Mit blutüberströmten Augen schwankte Janis an Gurjew vorbei zur Tür. Durch den Schleier seines Blutes sah er Nadja Grigorijewna. Sie starrte ihn an, entsetzt und sogar mit Mitleid … aber was half das noch! Offizierspack, dachte Janis, als er vor dem Haus stand. Was nützt die Revolution, wenn solche überleben? Mit der Peitsche … mich mit der Peitsche … vom Hof gejagt …
    Er schwankte durch das Tor, lief hinunter zum Fluß, warf sich in den Ufersand und legte das Gesicht in das kühlende Wasser des Tobol. Mit einer Peitsche! Er weinte in das Wasser und biß vor Wut in die kleinen gekräuselten Wellen.
    »Dein Haus!« sagte Nikolai Gurjew zu Nadja, als Janis hinausgelaufen war. »Nimm es wieder in Besitz, Nadjuscha!«
    Nadja nickte. Ihr Gesicht war bleich. »Jetzt haben wir einen Todfeind, Niki«, sagte sie leise. »Und ich habe Angst …«
    Es stellte sich heraus, daß Nadjas Angst berechtigt war. Zwei Tage nach dem Auspeitschen trafen Janis Antonowitsch und Nikolai Gurjew allein zusammen. Im Wald war es, Gurjew ritt den Besitz ab, um sich ein Bild zu verschaffen, wie groß die Ländereien waren. Da schallte ein Schuß durch das Rauschen der Bäume, das Pferd bäumte sich auf, schrie entsetzlich und brach zusammen. Mit einem weiten Satz schnellte sich Gurjew aus dem Sattel und rannte der Gestalt nach, die im Zickzacklauf zwischen den Bäumen davonhetzte.
    Unter turmhohen Zedern trafen sie sich … Janis Antonowitsch sah ein, daß es sinnlos war, weiter zu flüchten. Er blieb stehen, zog ein langes gebogenes Messer und stemmte die Beine in den feuchten Waldboden.
    Nikolai Gurjew sah ihn mit den ruhigen Augen des Überlegenen an.
    »Das war ein Mordversuch, mein Freund«, sagte er ohne Erregung. »Ein Mordversuch an einem Hauptmann der Garde des Zaren oder – wenn es dir besser gefällt – an einem Offizier der siegreichen Revolutionsarmee! Such dir aus, was dir besser gefällt. Ob so oder so … man wird dich zum Tod verurteilen! Da den jetzigen Gerichtsherren nicht zu trauen ist – man ist noch im Aufbau, lieber Freund, du mußt das verstehen –, gilt nach wie vor das Standrecht. Ich verurteile dich also hiermit zum Tod, Janis Antonowitsch.«
    Janis' Augen glitzerten. Er schob die Hand mit dem Dolch vor. »Hol dir dieses Leben, du Hund!« sagte er heiser. »Hol es dir!«
    Nikolai Gurjew griff in den Gürtel. Dort hing in einer Schlaufe eine Lederpeitsche. Nur kurz, gerade handlang, war der Holzgriff, mit Lederstreifen umwickelt.
    Dann sauste die Peitsche durch die Luft, zerschnitt Janis' Handgelenk, der Dolch fiel zu seinen Füßen, ein Ruck, er sank in die Knie, umklammerte die Peitschenschnur, wollte sie festhalten, aber das dünne, glatte Leder rutschte durch seine Finger, schnitt die Handflächen auf wie ein Messer …
    »Herr!« brüllte Janis. »Erbarmen! Erbarmen! Ich verlasse Podunskoje! Heute noch. Heute! Ich ziehe weg … in den Süden … nie mehr komme ich hierher … Erbarmen … Heute noch gehe ich …«
    Die Peitsche pfiff. Der zweite Schlag traf den Hals.
    Janis warf beide Arme hoch. »Herr!« schrie er. »Ich küsse dir die Stiefel … ich küsse … küsse … Stiefel …«
    Der dritte Schlag. Quer über den Kopf.
    Janis Antonowitsch fiel mit dem Gesicht in den feuchten, nach Moder riechenden Waldboden.
    Man fand Janis Antonowitsch Skamejkin nie. Man wußte nicht einmal, ob er tot war. Auch Nikolai Gurjew konnte es nicht sagen. Vielleicht hatten die Wölfe ihn zerrissen, oder er war wirklich weggewandert in den Süden, wo ihn keiner kannte. Gurjew hatte ihn verlassen, als er nicht mehr stöhnte. Mit dem Sattel über der Schulter kehrte er zum Gut zurück, hängte das Halfter an einen Haken neben die Box, in der das Pferd gestanden hatte, und ging stumm ins Haus.
    Als Kerenskij den Entschluß faßte, die Zarenfamilie aus Zarskoje Selo wegzubringen, um durch die bloße Anwesenheit Nikolaus' II. die Revolution nicht zu gefährden, andererseits aber auch Extremisten keine Gelegenheit zu geben, den Zaren zu töten, geschah das alles noch im Rahmen eines zwar matten, aber doch noch kaiserlichen Glanzes. In der Nacht vom 13. zum 14. August 1917 bestieg die Zarenfamilie mit einem kleinen Hofstaat einen Sonderzug auf der Station Alexandrowskaja der Nord-West-Bahn. Zwei Salonwagen

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