Die Tochter des Teufels
der Internationalen Schlafwagengesellschaft standen der kaiserlichen Familie zur Verfügung. Fünfunddreißig Personen umfaßte der neue ›Zarenhof‹ auf Rädern: den Zaren, die Zarin, den Zarewitsch, die vier Großfürstinnen, Hofmeister Prinz Wassili Dolgorukow, General Tatischtschew, die Hofdame Comtesse Hendrikowa, den neuen Leibarzt Dr. Botkin, die Erzieherin der Prinzessinnen Fräulein Schneider, den Hauslehrer Pierre Gilliard, den Kammerdiener Trupp, die Kammerfrau der Zarin Anna Demidowna, den Leibkoch Charitonow und als Kommandanten des Exilzuges Oberst Kobylinsky. Von der Revolutionsregierung wurde dem Zaren der Kommissar Makarow mitgegeben, ein undurchsichtiger Mann, der den fanatischen Revolutionär herausstellte, allein mit dem Zaren aber, unbeobachtet und sich sicher fühlend, in fast sklavischer Treue zur Kaiserfamilie hielt. Um diese wichtigen Figuren gruppierten sich noch Diener und Leibhusaren. Wen nimmt es wunder, daß die Einwohner von Tobolsk fast jubelten, als der Zar mitten unter ihnen, im Gouverneurshaus, seinen neuen Hof aufschlug.
Damals schrieb der Altkommunist Bykow in einem Bericht: »Man kann mit Sicherheit behaupten, daß es in der Geschichte niemals einen Verbrecher gegeben hat, der während seiner Haft über so viele Dienstboten verfügt hätte, wie sie Nikolai mit Kerenskijs Zustimmung bewilligt worden sind. Dieser kleinbürgerliche Revolutionär empfand eine wahrhaft lakaienhafte Ehrerbietung für den ärgsten Feind des Volkes …«
Und so war es möglich, daß der Zar Besuche empfing … Offiziere besuchten ihn, Mönche und Nonnen, ehemalige Hofdamen und die reichen Bürger von Tobolsk, Boten kamen und gingen, die Tafel war gedeckt wie in Zarskoje Selo. Noch hatte der Zar Geld, und solange er für alles bezahlte, blieb die Illusion, ein Kaiser zu sein, wenn auch ein verbannter.
Ende August war dieser Selbstbetrug zu Ende. Der Kommunismus faßte mehr Fuß in Tobolsk … vor allem waren es wieder die unzufriedenen Soldaten. Das 2. Regiment, das in Tobolsk lag, verweigerte sogar der Revolutionsregierung in Petersburg den Gehorsam. Nach dem Muster der meuternden Matrosen in Petrograd jagten sie die Offiziere weg und bildeten einen Soldatenrat. Die Führung übernahm ein Mann mit Namen Arnold Goldstein.
»Schluß!« sagte Goldstein auf der ersten Soldatenratversammlung. »Schluß mit diesem bürgerlichen Zauber! Der Bürger Nikolaus hat Rußland an den Abgrund gebracht, er hat es verraten und ausgenommen! Soll er dafür auch noch Gänse fressen und behandelt werden wie ein kleiner Gott? Schluß damit! Es soll endlich der Geist der Freiheit herrschen!«
Der Geist der Freiheit hieß Zwang. Die Soldaten des 2. Regiments sperrten die beiden Häuser ab, in denen der Zar residierte … das Gouverneurshaus und das Haus des Kaufmanns Kornilow. Vergeblich protestierte Oberst Kobylinsky, gingen Boten zu Kerenskij, die Revolution entglitt den Männern in Petersburg. Ein Bürgerkrieg drohte – die gemäßigten Revolutionäre um Kerenskij gegen die extremen Bolschewisten um Lenin. Schon wurden Offiziere erschossen, die schwer verwundet von der Front kamen … was sollte man in Rußland mit Krüppeln? Die Armeen weigerten sich, Befehle von Deserteuren entgegenzunehmen, die nun Befehlshaber geworden waren, kommunistische Agitatoren wurden verprügelt und erschlagen, Brot gab es noch immer nicht genug, die Soldaten bekamen keine Löhnung mehr, und im Volk wehte der Ruf über das riesige Land: Wir wollen den Zaren wieder haben!
Das war die Lage in Tobolsk, als Nikolai Gurjew mit einem Bauernwagen in die Stadt kam. Er hatte sich als Muschik verkleidet, seinen schönen Schnurrbart abrasiert, Lumpen hingen um seinen Körper, sein Haar hatte er mit Schmutz durchkämmt; wer ihn so sah, beachtete ihn weiter nicht. Einer der Bauern aus Sibiriens armen Dörfern … es gab davon fast zwei Millionen.
Nadja war auf dem Gut geblieben. Ein reicher Getreidehändler, der durch die Knappheit an Mehl Hunderttausende von Rubel verdiente, weil er seine vollen Lager langsam und zu wahnsinnigen Preisen leerte, hatte Interesse an dem Woronzowschen Besitz. Und während Nadja nun mit ihm über den Preis verhandelte, umschlich Nikolai Gurjew das Gouverneurshaus, stand mit den anderen am Zaun und spähte in den Garten, wo der Zar spazierenging.
Zwei Tage lang beobachtete Gurjew das Haus. Er kundschaftete das Gelände aus, er unterhielt sich mit den Wachen, er kam sogar in Berührung mit dem Kammerdiener Nagorny, der
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