Die Tochter des Teufels
lebt. Im Gefängnis von Tjumen ist er. Er ist Gefangener der Roten. Kommissar Minajew hat das Kommando.«
Das stand in dem Brief. Nicht mehr. Kein Absender. Kein Hinweis. Der Pope ließ das Blatt sinken.
»Du glaubst es?« fragte er.
»Ja!« rief sie. »Ja! Ja! Ja!«
»Woher kommt der Brief? Wer schrieb ihn? Warum dieser Weg? Warum so geheimnisvoll? Ich glaube es nicht, Töchterchen. Eine Falle ist's!«
»Er lebt! Ich fühle es! Ich höre es singen in meinem Blut: Er lebt! Er lebt!« Nadja umarmte den Popen und küßte ihn. »Warum soll ich fragen, wer den Brief schrieb? Und wenn ihn der Teufel geschrieben hat … ich küsse ihn, wenn Niki lebt!«
»Und nun?« fragte der Pope Pjotr und sah an ihrer Reitkleidung herunter.
»Ich reite nach Tjumen! Ich fliege! Noch nie wird Boris so galoppiert sein!« rief Nadja. Sie schüttelte ihre bronzenen Locken aus dem glühenden Gesicht. »Vater Pjotr, verwalten Sie mein Gut! Ich komme erst wieder, wenn ich Niki habe.«
»Das ist doch Wahnsinn!« rief der Pope und hielt Nadjas Hände umklammert. »Was willst du tun?«
»Ich hole Niki aus dem Gefängnis!«
»Bei den Roten? Sie werden dich schänden und umbringen!« Pjotr wandte sich um. »Und das Kind? Es lebt unter deinem Herzen. Es ist ein Kind, das Gott gehört! Im sechsten Monat bist du! Das Kind stirbt, wenn du nach Tjumen reitest! Zwölf Stunden im Sattel … das Kind in dir wird zermalmt! Höre auf mich. Höre, Töchterchen.« Und dann sank der Pope in die Knie und hob die Hände zum Marienbild. »Gib ihr Einsicht!« schrie er. »Halte sie zurück, o Mutter aller Mütter! Sie überlebt es nicht!«
Nadja senkte den Kopf. Dann warf sie sich herum und rannte aus der Kirche. Der Pope sprang auf und lief ihr nach, so schnell ihn seine zittrigen Beine trugen.
»Nadja!« schrie er. »Du versuchst Gott! Dein Kind …«
»Versorge mein Haus!« schrie Nadja. Sie saß schon im Sattel, auf den Hinterbeinen stieg Boris empor, so feurig war er. »Ich komme zurück, Väterchen! Und ich bringe Niki mit!«
Zitternd stand der Pope an der Kirchentür, mit hocherhobenen segnenden Händen. Nadja jagte zum Fluß hinunter, der Staub wirbelte um sie wie eine Nebelwolke.
»Töchterchen«, sagte der Pope Pjotr leise. »O Töchterchen …«
Er sah Nadja Gurjewa nie wieder.
Washa Wladimirowitsch Minajew war zum Kommandanten von Tjumen geworden, ohne daß er sich dazu gedrängt hätte. Die Revolution hatte ihn, den Fischkonservierer aus den Fischfabriken von Tjumen, emporgespült, nur weil er im Oktober 1917 seinem Fabrikherrn eine Ohrfeige gegeben hatte und auf dem Dach der Konservenabteilung die rote Fahne hißte. Seitdem galt er als mutig und fortschrittlich, wurde von Moskau zum Kommissar ernannt, bekam Vollmachten wie früher der Gouverneur, residierte in einer feudalen Villa, festigte seine Macht, indem er bisher neunundvierzig Todesurteile fällte und vollstrecken ließ, und leistete sich als einzigen Luxus eine Geliebte, die Tochter eines geflüchteten Grafen.
Minajew ging man aus dem Weg … das war ein geflügeltes Wort in Tjumen. Es war vorgekommen, daß völlig Unschuldige nur deshalb eingesperrt wurden, weil sie Minajew nicht gefielen: »Er hat eine Knollennase«, sagte er zum Beispiel. Oder: »Seine Ohren wackeln wie bei einem Esel!« Das genügte für eine Zelle im feuchten Keller.
Um so erstaunter war er, als einer seiner Genossen grinsend ins Zimmer trat und sagte: »Draußen wartet eine Puppe auf dich, Genosse. Ein Weibchen, sage ich dir. Nicht auf dem Mist des Arbeiters gewachsen! Das ist kein Kürbis, sondern eine Rose.«
»Herein mit ihr!« Minajew dreht sich eine Zigarette und beleckte das ausgefranste Papier. Dann legte er die dicke Tabakwurst auf den Tisch und musterte die Frau, die man hereinschob. Sie trug derbe Strümpfe und Schuhe, ein verwaschenes Sommerkleid, darüber einen Fransenschal und ein Kopftuch. Das schöne seidenglänzende Haar war aufgesteckt. Große dunkle Augen sahen ihn an.
»Was soll's?« fragte Minajew. »Was wollen Sie, Genossin?«
»Ich bin Nadja Gurjewa, Genosse Kommissar.«
»Oha!« Minajew zog die Luft zwischen die Zähne. Er beugte sich vor.
»Lassen Sie Nikolai Gurjew frei, Washa Wladimirowitsch.« Die Augen Minajews und Nadjas Augen waren sich ganz nah.
»Er hat die Rote Armee verraten!« sagte Minajew keuchend.
Dieser Blick, dachte er. Beim Bart Lenins, das Weib hat einen Blick, daß einem die Hosen rutschen. Man muß sie ansehen und anhören, obgleich man sie einsperren
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