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Die Tochter des Teufels

Die Tochter des Teufels

Titel: Die Tochter des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schwieg. Sein dick verbundener Kopf sank auf die Brust. Die Scham, als Gardeoffizier in das Gesicht geschlagen zu werden, ohne sich wehren zu können, war fast schlimmer als der Tod.
    In der Halle stand ein großer, dicker Matrose. Eine breite rote Binde trug er um beide Arme, und an die Matrosenmütze hatte er sogar einen großen roten Stern geheftet, aus Blech geschnitten und grellrot lackiert.
    »Aha!« schrie er, als Gurjew und Nadja in der Halle standen und die Kellertür zuklappte. »Aha! Die Liebenden von Tjumen! Welch ein trautes Paar! Welche Rührung überkommt einen!«
    Der Matrose lachte wohlgefällig. Dann hob er die Faust und hieb auf Gurjew ein. Erst auf die Nase, daß das Blut mit einem Schwall hervorquoll, dann auf den Mund, daß die Lippen aufplatzten, zuletzt gegen den verbundenen Kopf mit dem durchgebluteten Verband. Gurjew stieß einen gurgelnden Schrei aus, tastete um sich, als könnte ihm jemand helfen, sank in die Knie und fiel auf die Marmorfliesen.
    »Ich wünsche eine gute Reise, Madame!« sagte der Matrose, verbeugte sich vor Nadja, spuckte sie dann an und verließ die Halle.
    Drei Matrosen schleppten Gurjew aus der Villa und warfen ihn auf die Straße. Nadja ließ ihn liegen, rannte in das nächste Haus und schrie durch die Wohnung, in die sie eindrang: »Wasser! Einen Eimer mit Wasser! Um alles in der Welt – Wasser!«
    Man gab ihr einen Eimer voll Wasser und ein Handtuch, und sie rannte damit zurück auf die Straße, wo Gurjew noch immer im Staub lag. Sie kniete nieder, nahm den Kopf Nikolais in ihren Schoß und wusch sein Gesicht. Sie knöpfte die zerfetzte Uniformjacke auf, rieb mit dem Handtuch und dem kalten Wasser seine Brust, und sie erschrak bei dem Anblick seines Körpers, denn er war mager, ein Gerippe mit Haut nur, auf der die Haare wuchsen wie verdorrte Grasbüschel in einer wasserlosen Steppe.
    Eine halbe Stunde fast rieb und wusch sie Nikolai, rief seinen Namen, küßte ihn, drückte ihn an sich und streichelte ihn. Erst als Gurjew langsam die Augen öffnete, als seine Lider zitterten, sein erster Blick die Augen Nadjas traf und ein mattes Lächeln über sein elendes, nasses Gesicht glitt, erhob sie sich, stützte Nikolai, stellte ihn gegen die Hauswand und übergoß ihn mit dem Rest Wasser aus dem Eimer. Wie ein Hund schüttelte er sich, aber er wurde völlig klar, sein verschleierter Blick bekam Leben.
    »Komm«, sagte sie leise, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich wie einen kleinen Jungen. »Komm … es ist ja alles vorbei! Du lebst. Du lebst!«
    Schwankend tappte Gurjew an ihrer Hand über die Straße … nach dreißig Schritten ging er wieder aufrecht … nach hundert Schritten kam wieder Kraft in seinen Leib. Er blieb stehen, helle Röte überflutete sein Gesicht.
    »Wieso lebe ich?« fragte er und zog Nadja an sich, die weitergehen wollte. »Minajew kennt keine Gnade.«
    »Du lebst. Komm!« sagte Nadja und zog an seiner Hand.
    »Was hast du ihm gegeben?« Gurjews Finger krallten sich in Nadjas Hand. »Nadjuscha … o Himmel … was hast du ihm gegeben? Bei Minajew gibt es nur eine Bezahlung, die er annimmt! Nadja!« Er schrie auf, riß sie an sich und umklammerte ihren schmalen Kopf mit den großen tiefblauen Augen. »Was hast du ihm gegeben?« brüllteer. »Schäme dich nicht! Sag es! Für mich hast du es getan, für mich … aber ich kann nicht leben, wenn es wahr ist! Und auch du kannst es nicht ertragen! Ich weiß es! Hast du bei Minajew geschlafen?«
    Nadja sah ihn groß an. Ihr Mund verzerrte sich etwas.
    »Sieben Diamanten hat er genommen«, sagte sie.
    »Nicht dich?« keuchte Gurjew.
    »Ich gehöre dir, Nikolai! Das wird sich nicht ändern bis zum Ende unserer Tage.«
    »O mein Engel.« Gurjew legte den Kopf auf Nadjas schmale Schultern. Er weinte laut. Alle Qual, aber auch alle Befreiung von der Todesangst lag in diesem hellen Schluchzen. »Ich schäme mich. Versagt habe ich. Der Zar ist tot. Und sie haben mich geschlagen wie einen Leibeigenen, wie einen Muschik! Was bleibt von unserer Welt?«
    »Viel, Nikolai, viel!« Nadja schob seinen Kopf hoch und sah ihm in die tränenden Augen. Ihr blasses Gesicht war hart, schön und irgendwie grausam. Das Gesicht des Staretz Rasputin. »Ich bleibe. Und unser Kind wird bleiben. Ist das nicht genug für eine Welt?«
    Am Stadtrand von Tjumen, an der Tura, dort wo die ausgedehnten Sumpfgebiete beginnen, hatten Nadja und Nikolai Unterkunft gefunden. Eine arme Bauernfamilie war's, die vor zehn Jahren aus dem

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