Die Tochter des Teufels
welcher Art sie sein wird. Erschießen am Pfahl, Erhängen an einem Baumast oder Totpeitschen in der Gasse. Wie ich meine Kosaken kenne, werden sie die Gasse wählen … sie lieben fröhliche Spielchen, bei denen sie ihre Kraft zeigen können …«
Gurjew setzte sich auf die Strohmatte. »Kubulai …«, sagte er mühsam. »Sie sind im Irrtum. Sie wissen nicht, wer ich bin.«
»Ein Abtrünniger. Ein Offizier des Zaren, der zu den Roten übergelaufen ist! Wissen Sie, was Denikin mit Ihnen machen würde?«
»Zu Denikin will ich ja …«, sagte Gurjew. Seine Kehle war rauh und ledern. Erst jetzt spürte er den wahnsinnigen Durst. Er schluckte, bekam kein Wort mehr heraus und machte eine hilflose Geste des Trinkens. Kubulai nickte, goß Wasser in ein Glas und reichte es hin. Gurjew trank in langen Zügen, den Rest im Glas schüttete er sich über das Gesicht und verrieb das Wasser. Stumm sah ihm Kubulai zu. Das Lächeln auf seinem gelblichen Gesicht war verschwunden.
»Sie haben die rote Truppe geführt?« fragte er, als Gurjews Blick klar geworden war.
»Nein. Der Führer war Rittmeister Fritz Bencken, ein Deutscher.«
»Der Mann, den wir zerhackt haben? Er lief in unsere Attacke hinein.«
»Ja.« Gurjew sah hinüber zu Nadja. Sie bewegte sich und seufzte leise.
»Wer ist diese Frau?« fragte Kubulai. »Die Kompaniehure?«
Gurjew atmete tief auf. »Meine Frau«, sagte er heiser. »Die Frau des Gardehauptmanns des Zaren Nikolai Georgijewitsch Gurjew. Wir waren auf dem Weg in die Freiheit … auf dem Weg zu Ihnen, Kubulai, oder zu Denikin, zu irgendeinem, der die weißrussische Südarmee führt.«
»Und das hier?« Kubulai hob die rote Armbinde hoch. Gurjew sah auf seinen Arm. Es war seine Binde.
»Ein Schutz, um durch die roten Linien zu kommen.«
»Das soll man Ihnen glauben?«
»Ich bitte Sie darum, Kubulai. Mein Offiziersehrenwort …«
»Ein Offizier, der eine rote Binde trägt, hat keine Ehre mehr!« Das klang ganz nüchtern, ohne Leidenschaft, aber Gurjew wußte, daß es ein Todesurteil war, wenn er Kubulai nicht überzeugen konnte.
»Bringen Sie mich zu Denikin. Der General wird mich verstehen …«
»Denikin ist auf dem Vormarsch zum Don. Er hat andere Sorgen. In der Steppe gilt das Wort Kubulais!« Die geschlitzten Augen musterten Gurjew. »Wo kommen Sie her?«
»Aus Tjumen«, sagte Gurjew.
»Was machten Sie in Tjumen?«
»Ich war Gefangener des Kommissars Minajew.«
»Warum?«
»Ich wurde von Kommissar Jurowski überwältigt. In Jekaterinburg. Ich war einer der Führer der Offiziersgruppe, die den Zaren befreien wollte. Wir waren nahe am Ziel. Jemand muß uns verraten haben.«
»Den Zaren befreien?« Die engen Augen Kubulais weiteten sich rätselhaft. Sie verloren das Asiatische, sie wurden rund. »Sie Phantast! Sie Lügner! Von dieser Offiziersgruppe lebt niemand mehr!« Kubulai sprang auf. »Ich lasse Sie heute noch hinrichten!«
»Er lügt nicht …«
Kubulai drehte sich um. Nadja war erwacht. Mit herabhängenden Armen lag sie auf dem Feldbett, ihre Hände schabten über die Grasbüschel neben der Liege.
»Nadja …«, stammelte Gurjew. »Mein Engel …« Er wollte aufspringen, aber Kubulai winkte energisch ab.
»Ich begrüße Sie, Madame Gurjewa.« Kubulai verneigte sich höflich. »Ich habe erfahren, wer Sie sind. Ich sehe Ihren gesegneten Leib, und es schmerzt mich, daß Sie einen Mann haben, den Rußland nicht mehr ertragen kann.«
»Er lügt nicht«, sagte Nadja noch einmal. Ihre Hände umkrallten ein Grasbüschel und rissen es aus. Sie hob es hoch, Sand regnete auf sie nieder … dann streckte sie den Arm aus zu Kubulai. »Das ist Rußlands Erde«, sagte sie mit plötzlich kräftigerer Stimme.
»Ja«, antwortete Kubulai kurz.
»Ich will diese Erde in meinen Mund stopfen, ich will an Rußlands Erde ersticken, wenn Nikolai gelogen hat. Er hat den Zaren befreien wollen, er war der Gefangene Jurowskis und Minajews, er war mit mir auf dem Weg zu der weißen Armee …«
Sergej Kubulai starrte auf das große Grasbüschel in Nadjas Hand. Er sah, wie sie den Arm zurückzog und die Erde zu ihrem Mund führte. Es gab keinen Zweifel … sie würde sich das Gras in den Mund stopfen und daran ersticken, wenn er schwieg. Er war Asiate … und wer weiß besser als sie, zu was ein Mensch fähig ist?
»Madame, es ist zuviel, was ich glauben soll!« Kubulai atmete innerlich auf, als Nadja das Grasbüschel sinken ließ. Er zeigte auf Gurjew. »Wieso lebt dieser Mensch, wenn er in Tjumen in
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