Die Tochter des Teufels
Hauptmann.
»Ich wiederhole, daß hier ein Irrtum vorliegt«, sagte er. Seine Stimme hatte einen fremden Klang. »Ich bitte, mir die Gelegenheit zu geben, mich vor Admiral Koltschak selbst verantworten zu dürfen. Ich bin vor dem Urteilsspruch nicht gehört worden. Jeder Angeklagte hat ein Recht auf Verteidigung.«
»Sie waren flüchtig.«
»Im Keller Minajews war er!« rief Nadja verzweifelt.
»Und wurde freigelassen.«
»Weil ich Minajew bestochen habe.«
Der Hauptmann lächelte mokant. Es war ihm anzusehen, wie ungeheuerlich und plump er diese Lüge fand. »Minajew ist nicht bestechlich!« sagte er steif. »Gurjew wurde entlassen, weil die Roten ihm Dank schuldeten. Aber das zu klären ist nicht meine Aufgabe. Der Admiral befindet sich in Omsk.« Er sah hinaus auf den Bahnsteig, wo ein Zug unter Dampf stand. Vier Waggons waren mit Militär besetzt … dahinter hatte man Wagen vierter Klasse für die Privatreisenden gekoppelt. »Das einzige, was ich für Sie tun kann, ist die Überstellung nach Omsk zum Hohen Militärgericht. Betrachten Sie das als mein persönliches Wohlwollen und als Ehrung des Zustandes von Madame.« Er warf einen kurzen Blick auf den Leib Nadjas. »Mein Befehl lautet, Sie sofort zu füsilieren.«
»Ich danke Ihnen, Kamerad«, sagte Gurjew mit belegter Stimme. »Es wird sich alles aufklären lassen …«
Der Zug fuhr erst am Abend aus Kurgan ab. Gurjew und Nadja bekamen ein besonderes Abteil im Offizierswaggon. Man hatte das Abteil extra für sie geräumt, damit sie keinen Kontakt mit anderen Offizieren aufnehmen konnten. Ein Feldwebel wurde abgeordnet, Gurjew zu bewachen.
»Feldwebel Ilja Prokopiwitsch Posnakow zu Diensten Euer Hochwohlgeborenen!« meldete er sich.
»Es ist gut, Ilja.« Gurjew klopfte ihm auf die Schulter. »Bist du verheiratet?«
»Vier Kinderchen habe ich. In Saratow, Euer Hochwohlgeboren.«
»Und was hältst du vom Krieg?«
Feldwebel Posnakow war sehr verlegen. Ein Offizier fragte ihn, den armseligen Muschik, was er vom Krieg hielt! Was sollte man da antworten? Die Wahrheit war bestimmt falsch, die Lüge konnte aber ebenso nachteilig sein.
»Es ist so«, sagte Ilja vorsichtig, »daß dieser Krieg eigentlich gar kein Krieg ist, sondern …«
Gurjew lächelte. Sie saßen in dem abgesonderten Abteil, hatten Kurgan verlassen und ratterten durch die fahle Nacht nach Osten.
»Winde dich nicht wie ein Wurm, Ilja«, sagte Nikolai. »Siegen die Roten oder siegen die Weißen?«
»Wer weiß das?« Posnakow zog die Schultern hoch. Welch eine Frage!
»Du bist ein Mann aus dem Volk. Was soll siegen?«
Posnakow überlegte lange. Dann sagte er: »Das Volk, Euer Hochwohlgeboren, das Volk sieht die Roten gern!«
»Und du?«
»Wenn man es bedenkt – was hatten wir bisher vom Leben? Aber wenn es keinen Großgrundbesitz mehr gibt, wenn alle Felder dem Staat gehören, wir für den Staat arbeiten und er uns ernährt, alles gerecht zugeht und keine Laune eines Grundbesitzers uns aus der Hütte jagt … das könnte ein gutes Leben werden. Sie haben keine üblen Ideen, die Roten! Was war denn die arbeitende Klasse bisher in Rußland? Eine Armee von Wanzen! Viele Fehler sind gemacht worden …«
Nadja nickte. Mit großen Augen betrachtete Posnakow ihre Hände, die den Umhang zur Seite schlugen und mit den Fingernägeln eine Naht aufritzten. Eine dünne Rolle fiel in ihren Schoß. Sie wickelte die Seidenstreifen auf und schob dann ihre flache Hand zu Posnakow hin. Vier glitzernde, runde Steine leuchteten Ilja in die Augen.
»Brillanten«, sagte Nadja leise. »Von der Zarin. In Zarskoje Selo hat sie mir die Steine gegeben. Als kleinen Dank für meinen Vater. Mein Vater war Rasputin …«
Der Feldwebel Posnakow fuhr zurück und bekreuzigte sich, als habe er soeben den Satan selbst gesehen.
»Rasputin …«, sagte er dumpf. »O Gott! Und die Steine. Was soll das?«
»Sie gehören dir. Und tausend Rubel in Scheinen dazu. Du kannst zurück nach Saratow, zu deiner Frau und den vier Kindern. Wenn die Roten siegen, bist du zu Hause … Was haben deine vier Kinder davon, wenn sie erfahren, ihr Väterchen Ilja ist als Held irgendwo in Sibirien erschlagen worden?«
»Das ist wahr«, sagte Posnakow leise. »Das ist wirklich wahr. Mütterchen, Sie sind ein Engel.« Er beugte sich vor, ergriff die andere Hand Nadjas und küßte sie nach unterwürfiger Bauernart. Dann ließ er sich die Brillanten geben, steckte sie in einen ledernen Brustbeutel, zählte die Rubelscheine ab, die Nadja aus
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