Die Tochter des Tuchhandlers
»Es hat ein schweres Unglück gegeben. Eure Eltern â¦Â« Hier brach sie ab und schluchzte.
Lorenza übernahm die Erklärungen: »Auch wenn unser Verhältnis nicht immer ungetrübt war, tut es mir doch von Herzen leid, Euch von diesem schweren Verlust Mitteilung geben zu müssen. Der Grund für das Ausbleiben einer Nachricht aus Nürnberg war, dass der Reisetross Eurer Eltern bei der Durchquerung des Apennin von marodierenden Söldnern überfallen wurde.«
Mit aufgerissenen Augen starrte Beatrice ihre Schwiegermutter an. »Haben sie überlebt?«
Lorenza Buornardi schüttelte den Kopf. Ines schluchzte auf und nahm ihre Herrin, die wie gelähmt dalag, in die Arme.
»Es tut mir so leid, Madonna, es tut mir so leid â¦Â«
Beatrice verbarg ihr Gesicht an Inesâ Schulter und weinte mit geschlossenen Augen. Sie sah das lächelnde Gesicht ihres Vaters, wie er in seinem Kontor über einem seiner Bücher stand und sie zu sich winkte, ihr über das Haar strich und sagte, dass alles gut werde. Ihre Mutter, die beim Anprobieren des Brautkleids neben ihr stand. Das sollte für immer vorbei sein? Nur noch Erinnerung? Niemals wieder sollte sie in das Haus ihrer Eltern an der Piazza San Frediano treten, den alten Benedetto begrüÃen und zu den Fenstern des Kontors ihres Vaters sehen? So grausam konnte das Schicksal nicht sein.
Sie hob den Kopf und wischte sich die Wangen. »Woher weià man, dass meine Eltern unter den Toten sind?«
Lorenza sah sie betroffen an. »Es gibt einen Augenzeugen.«
»Wer ist es? Wenn er hier ist, soll er sofort heraufkommen!«, entschied Beatrice.
Ansari schüttelte den Kopf. »Nein, Madonna, tut Euch das nicht an. Lasst es hierbei bewenden.«
»Nein, das kann ich nicht. Es sind meine Eltern. Ich will alles wissen, jede Kleinigkeit. Holt den Mann her.«
Während sie warteten, spürte Beatrice die einsetzende Wirkung des Opiats. Ihr Herzschlag beruhigte sich, und sie starrte auf die Tür, bis diese endlich aufging und ein kleiner Mann hinter Ines ins Zimmer humpelte. Er hatte einen Kopfverband, sein rechter Arm lag in einer Schlinge, mit der linken Hand stützte er sich auf eine Krücke, weil ein Knie bandagiert war. Schüchtern blieb er neben Ines stehen.
»Das ist Simeon, ein Knecht Eures Vaters«, stellte Ines den Mann vor.
»Ich kenne dich nicht«, sagte Beatrice.
Simeon räusperte sich. »Ich war noch nicht lange in den Diensten von Ser Rimortelli, ein halbes Jahr erst, als er mich bat, mit ihm nach Nürnberg zu reisen. Der alte Benedetto hat mir die Arbeit verschafft, er ist mein Onkel.« Es fiel ihm offensichtlich schwer, sich auf den Beinen zu halten, ständig verlagerte er sein Gewicht.
»Bist du der einzige Ãberlebende?«
»Ja. Ich, wir ⦠Madonna, es war furchtbar, ich kann kaum Worte finden für das Grauen, das wir erlebt haben. Eure Eltern und alle anderen sind tot. Ich war verletzt und lag unter einem toten Maultier, deshalb haben sie mich übersehen. Ist das genug?«
Beatrice machte eine müde Handbewegung. »Simeon, nimm dir einen Stuhl, und erzähl mir genau, wie es zu dem Ãberfall kam.«
Lorenza sog scharf die Luft ein. »Jemand sollte das verbieten. Sie ist schon ganz blass.«
Sichtlich unglücklich über seine Rolle als Ãbermittler der dramatischen Ereignisse, setzte sich Simeon und begann mit gesenktem Blick zu berichten: »Es war neblig, und wir kamen nur langsam voran. Der Tross bestand aus acht Kaufleuten, einem Dutzend Knechten, Dienern und zehn Bewaffneten, die wir vor der Ãberquerung der Alpen angeheuert hatten. Eure Eltern saÃen mit zwei deutschen Kaufleuten im zweiten Wagen, die Italiener und ein Engländer im ersten. Wir sind überall gut durchgekommen und hatten Glück, dass am Pass nicht viel Schnee lag. Das nächste Hospiz war nur noch drei Wegstunden entfernt, und wir dachten schon an eine warme Mahlzeit und einen Becher Bier, als plötzlich vor und hinter uns bewaffnete Söldner auftauchten. Der Nebel wurde dichter, und wir dachten zuerst, es handele sich um eine Truppe mit einem Marschbefehl.«
Simeon fasste an seinen Arm und sprach leise weiter: »Ich war hinten bei den Packtieren und den Karren mit den Waren und sah nur die bunten Hosen, die SpieÃe und Ãxte. Sie brüllten in einer fremden Sprache, und Euer Vater ist ausgestiegen, um mit ihnen zu verhandeln, aber
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