Die Tochter des Tuchhandlers
Madonna so schlecht geht. Ich wünschte, es wäre nicht da!«
»O Alba, sei doch still â¦Â« Ines biss sich auf die Lippen und drückte auf Ansaris Geheià ein Tuch auf den Schnitt.
In fieberhafter Eile mischte der Medicus einen Brei aus Blättern, zerstieà die Masse in einem steinernen Tiegel und gab alles auf die Wunde. Dann legte er fest einen neuen Verband an und wischte sich schlieÃlich ein paar SchweiÃperlen von der Stirn. »Wenn ich die Blutung zum Stillstand bringen kann, gibt es Hoffnung.«
Alba hockte sich auf die Erde und betete leise. Bald war nur noch das flache Atmen der Kranken zu vernehmen, unterbrochen höchstens vom Schrei eines Nachtvogels.
XXI
Provinz von Novara, Oktober 1525
Seitdem sie Morimondo erreicht hatten, war Gian Marco verstummt. Aus den Augenwinkeln beobachtete Tomeo seinen Begleiter, der ihm in den vergangenen Monaten als treuer und zuverlässiger Kamerad ans Herz gewachsen war. Nicht nur im Schlachtgetümmel hatte es zahlreiche Situationen gegeben, in denen er sich blind auf Rückendeckung durch Gian Marco hatte verlassen können, der junge Mann erwies sich auch im Umgang mit den unberechenbaren Söldnern als wertvolle Stütze. Der Brustpanzer drückte an den Schultern, und Tomeo war froh, dass er den Rest der Rüstung im Lager gelassen hatte. Seit die neuen Schusswaffen immer gröÃere Verbreitung fanden, waren die Rüstungen mehr Hindernis als Schutz. Die Kugeln der Arkebusen durchschlugen mühelos Metall, aber Tomeo bevorzugte auch nach Pavia den Kampf Mann gegen Mann. Im Moment wusste er allerdings nicht, ob er überhaupt noch Soldat sein wollte. Das Elend um ihn herum war niederschmetternd.
Langsam trotteten die Pferde über die HauptstraÃe des Ortes. Ãber Morimondo zu reiten war ein Umweg gewesen, doch Tomeo hatte nachgegeben, weil Gian Marco immer noch hoffte, Angehörige seiner Familie zu finden. Verbrannte Holzbalken, Trümmer von Häusern und Stallungen, Berge von Schutt und Dreck säumten die StraÃe, die selbst in einem erbärmlichen Zustand war. Schlaglöcher und tiefe Rinnen, ausgewaschen von Regenwasser und Jauche, zwangen Pferde und Reiter zur Achtsamkeit.
Ein Klagelaut lieà Tomeo aufhorchen.
Gian Marco war abgesprungen und führte sein Pferd am Zügel hinter sich her auf ein verfallenes Haus zu, das in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Marktplatzes stand. Jemand hatte die eingerissene Maueröffnung notdürftig mit Brettern und Stroh geflickt. »Ist da jemand?«, rief Gian Marco.
Die einzige Antwort waren quiekende Ratten und ein Huhn, das gackernd über die StraÃe lief. Wo es Hühner gab, waren auch Menschen nicht weit. »War das das Haus deiner Familie?«
»Meines Onkels. Unser Haus ist völlig niedergebrannt.« Er zeigte auf die Reste von Grundmauern, die auf dem Nachbargrundstück zu sehen waren. Unkraut wucherte zwischen den Steinen, und über allem hing der Gestank von Moder und Verwesung.
»Wir sollten hier verschwinden. Die Luft ist vergiftet.« Es war noch nicht lange her, dass die Pest in Mailand und den umliegenden Dörfern gewütet hatte.
Niedergeschlagen wagte Gian Marco einen letzten Versuch und rief laut: »Heda, ich bin Gian Marco Silva, der Sohn von Marco und Silvia. Wenn jemand da ist, der sie kannte, soll er herkommen. Ich gebe ihm eine Kupfermünze.«
Es raschelte, und eines der Bretter vor dem Mauerloch bewegte sich. Ein bis auf die Knochen abgemagerter Mann kam heraus und streckte gierig eine schmutzige Hand aus. Seine Kleidung bestand aus stinkenden Lumpen, und man konnte nicht sagen, ob er verfilzte Haare oder eine Kopfbedeckung trug. Er stammelte Unverständliches.
»Sprich, Mann, kanntest du meine Familie?« Erst als er dem Alten die Münze zugeworfen hatte, schien der seine Sprache wiedergefunden zu haben.
»Verflucht sei dieser Krieg! Verflucht seien die Franzosen! Alles haben sie uns genommen, alles â¦Â« Der Alte wischte sich die Augen, die argwöhnisch in die Sonne blinzelten.
»Und Ihr wollt ein Silva sein? La morte nera hat sie alle dahingerafft, einen nach dem anderen, genau wie meine Familie. Gian Marco, eh? Wenn du das bist, warum erkennst du mich dann nicht?«
Gian Marco suchte nach Vertrautem in der zerfallenen Gestalt, und schlieÃlich half ihm die Erinnerung. »Pietro? Pietro der Wachskerzler?«
Unruhig tänzelte Tomeos Pferd hin und her. »Wir
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