Die Tochter des Tuchhandlers
kleineren Kontor standen keine Schreiber an den Pulten, und die Regale für die Stoffballen waren leer. Den fleiÃigen Buchhalter fand Tomeo an seinem Stehpult. Mit zusammengekniffenen Augen studierte Nardorus Zahlenreihen in einem aufgeschlagenen Rechnungsbuch. Als er die Tür zuschlagen hörte, sah er auf, und ein Lächeln huschte über das schmale Gesicht.
»Signor Tomeo! Welche Freude!« Der schmächtige Mann mit den grauen Haaren verneigte sich und warf einen entschuldigenden Blick auf die leeren Regale und Tische. »Es tut mir leid, aber ich konnte nichts dagegen machen. Sie haben einfach alles mitgenommen, alles! Euer Onkel Leopoldo war hier, aber auch der konnte nichts retten. Er sprach von leergeräumten Konten und Schulden bei verschiedenen Banken, die mit den Waren und den Häusern kaum gedeckt werden könnten.«
Die Worte sprudelten aus Nardorus heraus, und seine ganze Haltung spiegelte sein Mitgefühl wider. »Erzähl mir alles, Nardorus.« Tomeo lieà sich in einen der noch verbliebenen Sessel fallen und hörte zu, wie der Buchhalter berichtete, was sich zugetragen hatte.
»Richtig schlimm wurde es, als die Madonna aus Matraia zurückkam. Plantilla hat mir von der schweren Geburt erzählt, bei der Mutter und Kind fast gestorben wären. Dass sie noch leben, ist nur dem persischen Medicus zu verdanken, aber den hat Euer Bruder auch fortgejagt. Dann musste die Madonna ihr ganzes Vermögen an Signor Federico abtreten, und danach habe ich sie nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil er sie in ihre Räume gesperrt hat.« Nardorus seufzte. »Die Signora wurde krank, und dann überschlugen sich die Ereignisse.«
Tomeo starrte auf die Regale, in denen die Seiden-, Leinen- und Wollballen gelegen hatten, die sein Vater mit so viel Sorgfalt ausgesucht und verkauft hatte. Beatrice hatte die Liebe zum Tuchhandel geteilt, und er hatte gedacht, dass Federico sie deswegen geheiratet hatte. Sein Bruder musste vollkommen wahnsinnig geworden sein, oder aber er hatte sein wahres Gesicht gezeigt. Erschüttert legte er seine Stirn in die Hände und fragte: »Weià jemand, wo Beatrices Tochter in Rom ist?«
Nardorus schüttelte den Kopf. »Ich dachte, er hätte sie dorthin gebracht, wo sein unehelicher Sohn erzogen wird. Aber ich weià nicht, wo das ist.«
»Marcina, diese Hure! Ist sie mit ihm fort?« Marcina Porretta lieà ihren Sohn in Rom erziehen. Federico hatte dafür gezahlt. Aber wo sich der Junge aufhielt, wussten nur sie und sein Bruder.
»Ich nehme es an, Signore, aber Genaues weià ich nicht, nur, dass man ihren Bruder Filippo Menobbi mit den anderen gehängt hat. Man munkelt, dass auch die Marchesa Connucci irgendwie beteiligt war, aber das sind nur Gerüchte. Die Pocken haben sie vorher erwischt.« Er hob die Schultern. »Wir, ich meine, die Dienerschaft erhält seit Wochen keinen Lohn. Was werdet Ihr unternehmen? Werdet Ihr alles verkaufen?«
Tomeo zuckte mit den Schultern. »Wie steht es um die Bücher?«
»Das Geschäft hier in Lucca hat immer schwarze Zahlen geschrieben. Wie es um die Filiale in Antwerpen steht, ist schwer zu sagen, weil ich seit vier Monaten keine Nachricht von Eurem Bruder Alessandro erhalten habe. AuÃer Forderungen nach Begleichung von AuÃenständen von belgischen und englischen Kaufleuten habe ich nichts gehört. Das ist eine Sache, die mir groÃe Sorgen macht!« Nachdenklich sah Nardorus auf das Buch vor ihm. »So ein Jammer! Wir hatten ein wirklich gutes Jahr, und die Madonna hat mit den Webern Ugo und Lelo zwei hervorragende Männer gefunden. Wir hatten neue Muster entworfen und dafür sofort Abnehmer in Deutschland gefunden. Signor Rimortelli â¦Â« Er brach ab und nickte traurig vor sich hin.
Tomeo stand auf und klopfte Nardorus auf die Schulter, die sich erschreckend mager unter dem Wams anfühlte. Spontan holte Tomeo fünf Scudi aus seinem Beutel und gab sie dem Buchhalter. »Geh nach Hause, Nardorus. Geh zu deiner Familie und koch ein gutes Essen. Nimm dir aus dem Keller einen Krug Wein mit, wenn noch welcher da ist, und trinkt auf mich.«
»Aber â¦Â« Nardorus hob die Feder auf und legte seine Hand auf das Buch.
»Mach es zu. Ich spreche jetzt mit dem gonfaloniere und mit meinem Onkel, dann weià ich mehr. Bis dahin können wir hier nichts tun.«
Nardorus nickte unglücklich. Vor dem Kontorfenster wurden
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