Die Tochter des Tuchhandlers
Päpste haben nicht gerade viel zum Wohle des Volkes getan. Eine Reformation der Kirche, wie sie jetzt ist, mag wohl notwendig sein.« Da Luthers Schriften in Lucca verboten worden waren, hielt Beatrice sich zurück, denn wegen ketzerischer ÃuÃerungen konnte jeder angeprangert werden. Das Volk war unberechenbar und sah es nur zu gern, wenn Adlige und Reiche den Schwurgerichten ausgeliefert wurden, um in grausamen Schauprozessen hingerichtet zu werden. Die Zeit der Furcht, die unter dem Einfluss des Hasspredigers Savonarola vor kaum zwanzig Jahren geherrscht hatte, war noch nicht vergessen.
»Ob die deutschen Landsknechte an eine Reformation denken, bezweifle ich. Jetzt stehen sie mit gewetzten Klingen und Hellebarden mordlustig vor dem Apennin und halten gierig nach Rom Ausschau. Vielleicht wollen sie den Papst entmachten, aber sein Gold ist wohl reizvoller als der religiöse Aspekt.« Connucci beugte sich zu ihr. »Aber davor müsst Ihr Euch nicht fürchten, immerhin seid Ihr deutscher Abstammung, und Euer Onkel ist einer ihrer Heerführer.«
»Was soll das, Marchese? Bis jetzt wurde nur Mailand aus der Hand der Franzosen befreit. Niemand bedroht Florenz, geschweige denn Lucca.« Sie stand auf und sah sich suchend um. Federico stand mit seinem Vater und seinen Onkeln zusammen. Tomeo tanzte mit der hübschen Tochter von Lorenzas ältester Schwester. »Würdet Ihr mich bitte entschuldigen? Mir ist nicht wohl.« Sie drückte ihm das Glas in die Hand, raffte ihre Röcke und ging an den Tanzenden vorbei auf die Terrassentüren zu, von denen eine leicht geöffnet war, um frische Luft hereinzulassen.
Beatrice trat nach drauÃen in die kühle Nachtluft und zog die Tür hinter sich zu. Die Stille des Gartens, in dem bereits erste Anzeichen des Frühlings zu finden waren, war wohltuend. Sie war das Tanzen und den Wein nicht gewohnt, und es fiel ihr schwer, einzuschätzen, ob die Gespräche nur oberflächliche Plänkeleien oder ernsterer Natur waren. Wenn sie mit ihren Eltern oder Freunden sprach, gab es keine Zweideutigkeiten, doch diese Leute machten ihr Angst. Zu oft hörte man von plötzlichen Verhaftungen oder Todesfällen, die auf Gift zurückzuführen waren, aber nie aufgeklärt wurden. Hinter ihr knarrte die Tür. Sie fuhr herum und stand Federico gegenüber, der einen Schal in den Händen hielt.
»Ihr werdet Euch erkälten, Madonna.« Fürsorglich legte er ihr den weichen Schal um die Schultern.
Ãberrascht vergrub Beatrice ihre Hände in dem Tuch. »Danke, aber â¦Â«
Er legte eine Hand unter ihr Kinn und sah sie mit einem nicht zu deutenden Ausdruck an. »Ich glaube, Ihr wisst tatsächlich nicht, wie schön Ihr seid.«
Wollte er sie kränken oder ihr schmeicheln, um sie dann erneut zu demütigen? Beatrice blieb stumm und zuckte zurück, als er die Hand fortnahm.
»So sehr hasst Ihr mich?«
Sie schüttelte den Kopf. Ihre Furcht würde sie nicht eingestehen. Stattdessen schaute sie in die Dunkelheit des Gartens hinaus.
»Könnt Ihr mir nicht einmal in die Augen sehen?« Er drehte sie zu sich. »Verbergt Ihr etwas vor mir?« Wütend schüttelte er sie an den Schultern.
Verzweifelt schloss Beatrice die Augen. »Lasst mich los«, flüsterte sie. »Lasst mich â¦Â« Plötzlich gab er sie frei, drehte sich um und lieà sie stehen.
Als sie in dieser Nacht in ihrem Bett lag, horchte sie auf den Flur, doch Federico kam nicht nach oben. Erst spät am nächsten Morgen kehrte er unrasiert und mürrisch aus der Stadt zurück.
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Am Ostersonntag läuteten die Glocken von San Michele zur Messe. Der weiÃe Marmor des Gotteshauses strahlte vor blauem Himmel, unter dem sich die Luccheser versammelten. Wer Rang und Namen hatte, kam heute zum Gottesdienst. Vergebens suchte Beatrice unter den prächtig gekleideten Damen und Herren mit kecken Hüten nach ihren Eltern. SchlieÃlich schritten die Kirchgänger unter dem Glockengeläut des Campanile durch die Türen des Westportals. Die Ostermesse war ein gesellschaftliches Ereignis, und im Dom San Martino gab der Erzbischof selbst heute den Segen. Im Kircheninnern parlierten die Leute ungehemmt weiter, und man hätte meinen können, sie befänden sich auf dem Marktplatz. Auf dem FuÃboden lagen bedruckte Blätter, und Beatrice bückte sich und hob eines auf, noch bevor Ines sie davon
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