Die Todesbotschaft
standen wir schweigend da, bevor ich mich von ihm löste. Er schlug vor, mich zum Flughafen zu bringen, aber ich hatte vorher noch etwas zu erledigen. In den Gesprächsprotokollen meiner leiblichen Mutter war der Name des Arztes genannt, der sie damals behandelt hatte. Vielleicht konnte ich ihn ausfindig machen und ihn fragen, ob er sich an meine Mutter erinnerte. Und ob er eine nachvollziehbare Erklärung für mich hatte.
Nachdem Adrian gegangen war, duschte ich und zog frische Sachen an. Anschließend rief ich in der Nervenklinik an, um nach Doktor Wendelin Radolf zu fragen. Er musste inzwischen ein hochbetagter Mann sein, aber vielleicht gab es in der Klinik noch jemanden, der sich an ihn erinnerte. Ich fragte mich von einem zum Nächsten, bis mir schließlich eine nette Krankenschwester den Namen einer früheren Kollegin nannte, die ihn noch gekannt haben könnte. Zum Glück erreichte ich diese Frau, deren Stimme so klang, als gehöre sie einer jung gebliebenen Rentnerin. Sie wusste noch, dass er vor mehr als dreißig Jahren seine Anstellung in der Klinik gekündigt hatte, um sich in Hamburg niederzulassen. Mehr könne sie mir jedoch nicht erzählen. Ich bedankte mich, holte den Laptop aus der Tasche und gab kurz darauf seinen Namen in eine Suchmaschine im Internet. Dort fand ich allerdings nichts über ihn. Endstation, dachte ich enttäuscht und beruhigte mich damit, dass ich immerhin den Ordner besaß.
Bevor ich auscheckte, verließ ich das Hotel für einen Gang, der mir ebenso schwerfiel, wie er mir gleichzeitig am Herzen lag. Ich wollte nicht abreisen, ohne noch einmal die Gräber von Amelie und Gesa auf dem Alten Friedhof zu besuchen. Zuerst ging ich zum Grab meiner Schwester. Den kleinen, flachen Stein, den ich am Tag ihrer Beerdigung an der Stelle aufgehoben hatte, an der ich jetzt stand, würde ich mit nach Berlin nehmen. Das provisorische Kreuz würde bald einem Findling weichen, den meine Eltern kurz vor der Beerdigung ausgesucht hatten. Als sich mein Blick auf die Erde richtete, unter der meine Schwester lag, krampfte sich alles in mir zusammen. Es war ein Schmerz, wie ich ihn mir nicht hätte vorstellen können. Schnell wandte ich mich dem Teil des Friedhofs zu, auf dem meine leibliche Mutter begraben war. An ihrem Grab stehend versprach ich ihr, das verwitterte Holzkreuz gegen einen Stein einzutauschen. Sobald sich alles etwas beruhigt hatte, würde ich mich darum kümmern. Nachdem ich in der Kirche für beide eine Kerze angezündet hatte, lief ich zurück zum Hotel.
Adrian hatte mir den Mietwagen dagelassen und war mit einem Taxi nach Holz gefahren. Und so machte ich vor meinem Abflug noch einen Abstecher zu Elly. Auf dem Weg dorthin rief ich meinen Vater an und sagte, wir würden ein anderes Mal reden. Ich müsse all das erst einmal verdauen. Ich wollte das Telefonat gerade beenden, als er mich nach den Datenträgern fragte. Wir hätten sie auf seinen Rat hin zerstört, lautete meine Antwort.
Nachdem Elly mich kurz darauf inmitten ihrer Beete mit ihren kräftigen Armen umfangen hatte, forschte sie lange in meinem Gesicht, stellte mir jedoch keine Fragen. Sie schien auch so zu wissen, was in mir vorging.
»Ich fliege am Spätnachmittag zurück«, sagte ich, als würde das irgendetwas erklären.
Sie ließ mich los, rieb sich die Hände und sah sich im Garten um. Nachdem sie zu dem Schluss gekommen war, dass sie ihre blühenden Schützlinge getrost für eine Weile sich selbst überlassen konnte, fragte sie mich, was ich von Pfannkuchen hielte.
»Ich habe vorhin schon ein Croissant gegessen.«
»Mein Gott, so viel?« Ihr Lächeln hatte etwas Verschwörerisches. »Dann schaust du halt nur zu, während ich für mich welche backe. Einverstanden?«
»Und Ingo?«
»Der hat heute tatsächlich schon genug gegessen. Ich habe ihn auf den Berg geschickt.« Sie zog mich an der Hand hinter sich her in die Küche.
Während Elly sich am Herd zu schaffen machte, setzte ich mich auf die Küchenbank, um ihr zuzusehen. Es hatte etwas ungeheuer Beruhigendes, sie Eier, Mehl, Milch und einen Spritzer Sprudelwasser mischen zu sehen, dass ich mit einem Mal meine Augen kaum noch offen halten konnte und mich für einen Moment auf die Bank legte.
Als ich sie wieder öffnete, waren mehr als zwei Stunden vergangen. Elly hatte in der Zwischenzeit eine dünne Decke über mich gebreitet und sich mit einem Buch neben mich gesetzt, um meinen Schlaf zu bewachen.
»Es ist Zeit, meine Kleine«, sagte sie, als ich
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