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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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betrachtete sein Profil und stellte fest, dass es zu ihm passte. Es hatte etwas sehr Sensibles, gleichzeitig aber auch etwas Ungeschliffenes. Kurz bevor wir auf den Parkplatz einbogen, nahm er meine Hand und küsste sie in die Innenfläche.
    Um diese Uhrzeit waren hauptsächlich Jogger und Hundebesitzer unterwegs. Hand in Hand liefen wir den Uferweg entlang, um immer wieder innezuhalten und uns in wechselnder Reihenfolge zu küssen oder einfach nur auf den See zu schauen, der in der Morgensonne zu leuchten schien. Vielleicht kam es mir aber auch nur so vor, weil sich etwas in mir wie ein Leuchten anfühlte.
    Auf halbem Weg um den See herum zog ich Richard hinter mir her in einen schmalen, verborgenen Trampelpfad. Mit beiden Händen schob ich die Äste der Büsche beiseite. Als ich mich zu Richard umdrehte und seinen Gesichtsausdruck sah, schüttelte ich lachend den Kopf.
    »Nicht, was du denkst!«
    »Was denke ich denn?«, fragte er, schlang von hinten die Arme um mich und zwang mich, stehen zu bleiben. Er küsste mich in den Nacken und schob seine Hände tastend unter mein T-Shirt.
    Sanft löste ich mich aus seinen Armen. »Das hier ist ein besonderer Ort für mich. Komm!« Ich beschleunigte meinen Schritt und lief ihm voraus.
    Das Knacken kleiner Äste verriet mir, dass er dicht hinter mir war. »Wohin willst du?«
    »Das wirst du gleich sehen.« Zwanzig Meter weiter wandte ich mich nach rechts und stieg über einen dicken, von Moos überwucherten Baumstamm.
    Dahinter verborgen standen im Abstand von einem Meter zwei Steinmännchen, die noch längst nicht vollendet waren. Eines setzte sich aus fünf Steinen zusammen, das andere aus sieben. Richard trat neben mich, sah zu den kleinen Figuren und dann zu mir.
    Ich spürte seinen fragenden Blick. »Als ich einmal Liebeskummer hatte und irgendwie zu einer Entscheidung finden wollte, bin ich hier durch den Wald gelaufen, um allein zu sein. Ich habe bestimmt zwei Stunden auf diesem Baumstamm gesessen und nachgedacht. Bevor ich gegangen bin, habe ich so ein Männchen gebaut. Monate später bin ich wiedergekommen, um nachzusehen, ob es noch da steht. Und siehe da, irgendjemand hat seines danebengebaut.«
    »Welches ist deines?«, fragte Richard.
    Ich zeigte auf das mit den fünf Steinen, holte aus meiner Hosentasche den von Amelies Grab und balancierte ihn so lange aus, bis er auf der kleinen Steinpyramide liegen blieb.
    »Was hat der zu bedeuten?«, fragte Richard.
    »Das ist ein Stück von Amelies Grab.«
     
    Nach einer traumlosen Nacht wachte ich genauso auf, wie ich eingeschlafen war: in Richards Armen. Er stupste mich an und murmelte, ich solle denjenigen fortjagen, der da gerade auf meiner Klingel herumturne. Das sei unerträglich. Ich schlüpfte in eine bunte Tunika und betätigte die Sprechanlage.
    »Finja, mach bitte auf! Ich bin’s, Adrian.« Eine Minute später stand er mir atemlos gegenüber. Er musste in einem beachtlichen Tempo zwei Stufen auf einmal genommen haben. Anstelle einer Begrüßung wollte er wissen, warum mein Handy ausgeschaltet sei und ich nicht ans Telefon ginge.
    »Was machst du hier?«, stellte ich ihm die Gegenfrage. »Es ist erst Viertel nach sechs.«
    »Das erkläre ich dir drinnen.« Er schob mich vor sich her in die Wohnung, gab der Wohnungstür einen Stoß, dass sie in Schloss fiel, und ließ im Flur seine Reisetasche fallen. »Ich bin die Nacht durchgefahren.« Er war immer noch außer Atem. »Alles ist weg …«
    Blitzschnell hielt ich den Zeigefinger vor den Mund und machte leise »Pst!«.
    Adrian sah sich um. »Hast du Besuch?« In seinem Ton schwang ein
etwa
mit.
    Mit einem Nicken lotste ich ihn in mein Wohnzimmer, bedeutete ihm, dort auf mich zu warten, und schloss die Tür. Im Schlafzimmer erklärte ich Richard, mein Schwager sei gerade eingetroffen, deshalb müsse er jetzt leider aufstehen und gehen. Er sah mich an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen. Um diese Uhrzeit stehe er gewöhnlich nur dann auf, wenn es irgendwo brenne. Mit einem Stöhnen zog er sich das Kopfkissen übers Gesicht und drehte sich auf die andere Seite. Ich zog ihm Kissen und Decke weg, gab ihm einen Kuss und meinte, er solle sich einfach vorstellen, es brenne. Mein Schwager habe gestern erst seinen Vater zu Grabe getragen und sei nicht gerade in bester Verfassung. Als unmissverständliche Aufforderung hielt ich ihm seine Sachen hin. Während er sich verschlafen anzog, murmelte er etwas von einem Dragoner, womit offensichtlich ich gemeint war.

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