Die Todesbotschaft
zehn Minuten geben.
Kaum hatte ich die Zimmertür geschlossen, drängte ich Adrian, endlich mit der Sprache herauszurücken, aber er wollte zuerst unter die Dusche. Er sei die ganze Nacht unterwegs gewesen und sehne sich nach Wasser. Während ich auf ihn wartete, setzte ich mich ins geöffnete Fenster, das zum Innenhof hinausging. Im obersten Stockwerk des Hinterhauses machte sich gerade eine kleine mollige Frau in Kittelschürze daran, die Treppenhausfenster zu putzen. Ich beobachtete, wie sie auf eine Leiter stieg, den Wassereimer an einen Haken hängte und einen Lappen aus ihrer Schürze zog. Mein Blick wanderte zu den Wolken, die am Himmel aufgezogen waren und diesem Spätsommertag etwas Düsteres verliehen. Einmal mehr machte ich mir bewusst, wer dafür verantwortlich war, dass ich mich in meiner eigenen Stadt in ein Hotel flüchten musste, um meiner Privatsphäre sicher zu sein.
Nachdem die Pensionswirtin uns mit Frühstück versorgt hatte, setzten wir uns um den kleinen Tisch.
»Sie haben alles mitgenommen«, begann Adrian, »die DVD s, Vaters Laptop. Nur den USB -Stick, den hatte ich glücklicherweise die ganze Zeit in der Hosentasche. Nachdem der Mann von diesem Sicherheitsunternehmen alle Wanzen entfernt hatte, habe ich einen Bekannten besucht, der sich mit dem Entschlüsseln von Passwörtern auskennt. Als ich bei
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anfing, meinte er mal, falls sie dort findige IT -Leute suchten, wäre er vielleicht genau der Richtige.« Adrian runzelte die Stirn und fuhr sich mit einer Hand durch die noch feuchten Locken. »In jedem Fall ist es ihm gelungen, es zu knacken. Es befanden sich nur zwei Dateien auf dem Stick. Eine ist eine Excel-Datei, in der alle Kunden dieses Auswuches von
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aufgelistet sind. Mir sind schon beim Überfliegen der Namen die Augen übergegangen.« Er zog mehrere zusammengefaltete Blätter aus der Gesäßtasche seiner Jeans. »Die andere Datei ist eine Word-Datei und enthält einen Brief an mich. Es ist so eine Art Lebensbericht meines Vaters. Ich würde gerne behaupten, es sei eine Lebensbeichte oder zumindest eine Lebensbilanz, aber dafür ist er immer noch viel zu stolz auf das, was sie geleistet haben.« Adrian faltete die Blätter auseinander und legte sie neben meinen Teller.
Mein Sohn
, stand da geschrieben,
du hast mich immer wieder gebeten, dir eine Erklärung für die unerträglichen Geschehnisse der vergangenen Wochen zu nennen. Als seien all die Todesfälle dadurch leichter zu verschmerzen. Das sind sie nicht. Der Zerstörungsprozess, den sie in meinem Geist in Gang gesetzt haben, sollte dir eigentlich Beweis genug sein. Aber ich will deiner Bitte dennoch nachkommen, zumal du diese Zeilen erst dann zu lesen bekommen wirst, wenn dieser Zerstörungsprozess vollendet ist.
Um Adrian die Hintergründe der Morde verständlich machen zu können, müsse er ein wenig ausholen, fuhr Carl fort und beschrieb ausführlich seine studentische Rudermannschaft, deren Zusammenhalt und Ehrgeiz, die vielen Erfolge, die sie sich hart erkämpft hätten. Ihr Team sei so phantastisch gewesen, dass vier von ihnen kurz vor Abschluss ihrer Studienzeit beschlossen hätten, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. Die Idee,
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zu gründen, sei ihnen gekommen, nachdem eine Bekannte aus dem Ruderclub, die von ihrem Mann betrogen wurde, sie um Hilfe gebeten hatte. Sie hätten es als eine Herausforderung empfunden, diesen Mann zu beschatten und Fotos als Beweismaterial für die Scheidung zu liefern. Und es hätte ihnen Spaß gemacht, dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen. Warum daraus also nicht eine Profession machen? So hätten sie sich voller Enthusiasmus in dieses Vorhaben gestürzt. Ein Enthusiasmus, mit dem sie ihren Steuermann jedoch nicht hätten anstecken können. Er habe andere Ambitionen gehegt. Und so hätten sich damals ihre Wege getrennt.
Wir wurden in kürzester Zeit überaus erfolgreich
, schrieb Carl mit kaum verhohlenem Stolz.
Dabei gelang es uns
,
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den Stempel untadeliger Seriosität aufzudrücken. Sehr viel mehr war in diesem Gewerbe eigentlich nicht zu erreichen. Aber wenn auch nur einer von uns dazu geneigt hätte, sich vorschnell mit Erreichtem zufriedenzugeben, hätten wir schon damals, als wir alle in einem Boot saßen, kein zweites Rennen gewonnen. Also stand irgendwann die Idee im Raum, unseren Erfolgen noch eins draufzusetzen. Es fiel uns nicht schwer – wir hatten die besten Voraussetzungen: Wir waren ehrgeizig und hatten Spaß daran, unsere Kräfte zu messen.
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