Die Todesbotschaft
Traum, der keiner gewesen war. Doktor Radolf hatte sich geirrt. Aber was für eine Rolle spielte das jetzt noch?
Als Eva-Maria gewahr wurde, womit Alexander und seine Partner seit Jahren ihr Geld verdienten, hatte sich ihre Verwirrung in Abscheu verwandelt. Alexander, den sie einmal geliebt hatte, mit dem sie ihr Leben hatte verbringen wollen, der Vater ihres Kindes war. Wie hatte er so tief sinken können?
Irgendwann im Lauf des Abends gelang es ihr, dieses Material losgelöst von Finja und sich selbst zu betrachten – es als eine Bedrohung für die letzten geschützten Räume zu sehen. Räume, die von diesen Männern für ihre Interessen missbraucht wurden. Der Entschluss, ihnen das Handwerk zu legen und sie nicht ungestraft davonkommen zu lassen, war schnell gefasst. Nur wie sie ihn umsetzen sollte, wusste sie erst, als Finja zur Toilette ging.
Sie zögerte keine Sekunde. Blitzschnell griff sie in Finjas Umhängetasche und schnappte sich fünf der DVD s, um sie gleich darauf in ihrer eigenen Tasche verschwinden zu lassen. Die Datenträger, die auf dem Tisch lagen, rührte sie nicht an.
Als Finja zurückkam und sich auf die Schaukel setzte, behauptete Eva-Maria, müde zu sein. Mit dem Gesa-Ordner unter dem Arm verabschiedete sie sich.
Zu Hause angekommen, versteckte sie die DVD s in einem ihrer Bücherschränke. Sie würde sich an einem der nächsten Tage damit befassen. Wichtiger war ihr im Augenblick der Ordner mit den Gesprächsprotokollen. Die ganze Nacht über katapultierte er sie zurück in eine Zeit, die sie weit hinter sich gelassen zu haben glaubte. Um mit einem Mal wieder die Stimme ihres Arztes zu hören. Seinen wärmenden Blick zu spüren, der ihr geholfen hatte, diese Zeit zu überstehen. Und um schließlich zu erfahren, dass er ihr letzten Endes jedes Wort geglaubt hatte.
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20
A drian und ich verbrachten die Nacht in meiner Wohnung. Bevor wir dicht aneinandergedrängt einschliefen, wechselten wir so gut wie kein Wort mehr. Und das nicht allein wegen möglicher Wanzen in meinem Schlafzimmer. Das Treffen mit meinem Vater und Tobias hatte uns sprachlos zurückgelassen.
Obwohl die Temperaturen über Nacht abgekühlt waren, frühstückten wir am nächsten Morgen auf dem Balkon. Er bot gerade genug Platz für den winzigen runden Tisch, zwei Klappstühle und Tontöpfe mit einem Olivenbäumchen, Lavendel und einem Oleander. Mit den Fingern strich ich über den Lavendel und roch daran. Adrian hielt mit geschlossenen Augen das Gesicht in die Morgensonne. Seine Miene war jedoch alles andere als entspannt.
Als wir nicht mehr so tun konnten, als wäre dies ein Morgen wie jeder andere, ließ er sich von mir die Sache mit dem Steuermann genauer erklären. Er hörte sich alles ohne einen einzigen Kommentar an, um gleich darauf zu betonen, er wolle von nun an nichts mehr davon hören. Er spüre, wie sehr das alles an ihm zehre und ihm seine letzte Kraft raube. Und die bräuchte er, um auf dem wenigen, das ihm geblieben sei, ein neues Leben aufzubauen.
Von einer Anzeige riet er mir dringend ab. Ich solle an mich denken, an mein eigenes Seelenheil. Aber dadurch führte er mir lediglich meine Ambivalenz vor Augen. Meinem Vater und Tobias gegenüber hatte ich so getan, als habe ich mich längst entschieden, dieser Parallelwelt und damit
BGS&R
den Garaus zu machen. Aber es war nichts anderes als eine Drohung gewesen. Sie in die Tat umzusetzen, hätte mir Unmögliches abverlangt. Alexander Benthien war in erster Linie mein Vater und erst in zweiter ein Krimineller. Ich brachte es nicht über mich, ihn anzuzeigen, selbst wenn ich mir noch so sehr wünschte, seinen üblen Machenschaften ein Ende setzen zu können. Aber tatenlos hinzunehmen, dass alles so weiterging, erschien mir ebenso unmöglich. Denn dadurch würde letzten Endes auch Thomas Niemeyer seiner Strafe entgehen.
Der Mann, der meine Schwester, Cornelia, Hubert und Kerstin hatte umbringen lassen, der mehrere junge Frauen auf sadistische Weise getötet hatte – dieser Mann sollte dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, nur um möglicherweise noch weitere Verbrechen begehen zu können? Ich wusste, dass mich dieses Bewusstsein nach und nach zermürben würde, und spürte, wie meine Gedanken begannen, sich im Kreis zu drehen.
Adrian meinte, Thomas Niemeyer hätte seine Macht zur Genüge demonstriert. Für keinen von uns stelle er jetzt noch eine Gefahr dar. Außerdem sei der Mann inzwischen siebzig Jahre alt. Kaum vorstellbar also, dass er
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