Die Todesbotschaft
schwer zu ertragen. »Adrian, hast du schon vergessen, wie sehr dein Vater unter den drei Todesfällen gelitten hat? Sie haben ihn gebrochen. Er stand wochenlang unter Alkohol und hat sich Dinge zusammenphantasiert. Um diesen entsetzlichen Ereignissen eine Ursache zuordnen zu können. Menschen kommen sehr schlecht damit zurecht, wenn das Unglück ohne Grund über sie hereinbricht.« Er legte den Kopf schief und musterte Carls Sohn. »Du siehst, was das alles bei dir angerichtet hat. Und bei Finja. Ihr seid außer euch. Was wirklich verständlich ist.« Er lehnte sich zurück, als ließe sich sein Zerstörungswerk aus größerer Distanz genauer betrachten.
Als ich meine Hand auf Adrians legte, spürte ich ihn zittern. Tränen liefen mir über die Wangen und ließen meinen Vater sekundenlang vor meinen Augen verschwimmen. »Es wäre eine Lüge, zu behaupten, du seist ein schlechter Vater gewesen. Für mich warst du ein sehr guter. Vielleicht werde ich mir das Bewusstsein dafür sogar bewahren können. Aber ich werde dir nichts von dem verzeihen können, was du getan hast. Nicht das Verbrechen an meiner Mutter, nicht die Mitschuld an Amelies Tod und am Tod der anderen. Und nicht eure unvorstellbaren Tabubrüche, die jedes selbstverständliche Gefühl von Sicherheit zerstören. Ich würde mir wünschen, dass du all das mit einer großen Einsamkeit und Leere zu bezahlen hättest, denn das würde mir als eine gerechte Strafe erscheinen. Aber vielleicht sind sie sogar die Ursache für all das. Wolltest du etwas spüren und hast deshalb immer nach Superlativen gesucht?« Ich schob meinen Teller zur Tischmitte, da ich den Essensgeruch nicht mehr ertragen konnte. »Welche Gefühle vermitteln dir Geld und Macht? Grandiosität? Die Vorstellung, sich über alle anderen erheben zu können? Oder geht es um den Siegestaumel? Sitzt du gedanklich immer noch in eurem Vierer und hast nichts anderes im Sinn, als zu gewinnen? Geht es um das darwinistische Prinzip, dass der Stärkste sich durchsetzt – gewissermaßen als höchste Form der Konkurrenz?« Ich versuchte, die Tränen zurückzudrängen, die in einem steten Strom aus meinen Augen liefen. »Bist du nie auf die Idee gekommen, dass du dadurch noch einsamer wirst?« Dieses Mal war Adrian es, der nun meine Hand drückte. Ich warf ihm einen schnellen dankbaren Blick zu, wandte mich dann jedoch gleich wieder meinem Vater zu.
»Hast du jemals auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet, was du Menschen damit antust, wenn du ihre intimsten Geheimnisse raubst und an Erpresser verkaufst? Carl schreibt, dass diese Erpressungen deshalb so erfolgreich sind, weil allem Anschein nach keines eurer Bespitzelungsopfer Karriere, Ansehen oder Macht aufs Spiel setzen will. Aber vielleicht wollen sie auch ganz schnell vergessen, dass ihre Intimsphäre nicht besser geschützt ist als Waren, die im Supermarkt ausgelegt sind. Ich will diese Leute nicht entschuldigen. Einige von ihnen haben selbst Dreck am Stecken. Aber ich möchte dir sagen, dass es nicht nur deine Sicht auf die Welt gibt, wenn du behauptest, dass letztlich jeder etwas zu verbergen habe. Das ist ein Ansatz, der jeden Menschen in die Nähe eines Vergehens rückt. Und daraus hast du vermutlich die Rechtfertigung gezogen, diesem Verborgenen auf den Grund gehen zu dürfen. Für mich war diese Aussage lange Zeit eine Selbstverständlichkeit, bis ihn eine meiner Freundinnen einmal hinterfragt hat. Ihr Ansatz erscheint mir weitaus erstrebenswerter zu sein. Sie ist überzeugt, dass jeder etwas zu schützen hat, nämlich seine Intim- und Privatsphäre.«
*
Anfangs hatte Eva-Maria noch befürchtet, sich Finja gegenüber zu verraten, wenn ihre Tochter von ihrer Familie erzählte – und das obwohl sie seit Jahren daran gewöhnt war, ihre Reaktionen unter Kontrolle zu behalten. Aber nichts sollte die Beziehung zu Finja gefährden. Erst mit der Zeit begann Eva-Maria, sich mehr und mehr zu entspannen.
Je größer der Raum wurde, den Finja in ihrem Leben einnahm, desto mehr konnte sie die Vergangenheit ruhen lassen. Keine Zeit hatte sie stärker geprägt und keine hatte sie so nah an einen Abgrund geführt. Aber es war ihr gelungen, sich meilenweit von diesem Abgrund fortzubewegen.
Und er tat sich auch nicht wieder vor ihr auf, als Finja ihr die Datenträger und den Gesa-Ordner zeigte. Von den Beichtstühlen zu erfahren, hatte sie zunächst in Verwirrung gestürzt und ihr den lange zurückliegenden Traum wieder vergegenwärtigt. Der
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