Die Todesbotschaft
Gespräche mit Gesa Minke zukommen zu lassen.«
»Gesa war meine leibliche Mutter. Sie ist im Alter von fünfundzwanzig Jahren bei einem Wohnungsbrand ums Leben gekommen«, sagte ich mit rauher Stimme.
»Oh, ich wusste nicht, dass sie gestorben ist. Das tut mir sehr leid. So, wie es aussieht, war deinem Vater sehr daran gelegen, sie schon vorher aus dem Weg zu räumen.« Er schwieg einen Moment und beobachtete dabei jede meiner Regungen. »Das scheint dich nicht zu überraschen.«
»Ich glaube, ich bin inzwischen immun gegen Überraschungen, in der letzten Zeit hat es zu viele gegeben.« Ich stieß mich mit den Füßen ab, um die Schaukel wieder in Bewegung zu setzen.
»Wieso entledigt sich ein Mann seiner jungen Geliebten, behält jedoch ihr Baby?«, fragte er.
»Wozu hast du mich ausfindig gemacht? Was wolltest du von mir?«
»Ich dachte, ich könnte über dich vielleicht ganz unauffällig deinen Vater kennenlernen. Ich wollte dem Mann gegenübertreten, der meinem Vater einen solchen Schock versetzt hat. Er hat diesen Schock lange nicht überwinden können, genauso wenig wie meine Mutter. Es hat Jahre gedauert, bis sie nicht mehr ständig diese Bedrohung gespürt haben. Und es muss sie übermenschliche Kräfte gekostet haben, mich ihre Angst nicht spüren zu lassen. Außerdem hat mein Vater sehr damit gehadert, dass er nicht anders konnte, als sich dieser Drohung zu unterwerfen und Alexander Benthien nicht anzuzeigen. Nachdem Gesa Minke entlassen wurde, wollte er sich immer wieder mit ihr in Verbindung setzen, um ihr zu sagen, dass er ihr glaubte. Aber er hat sich nicht getraut. Er hat versucht, darauf zu vertrauen, dass ihr stabiler Kern schließlich die Oberhand gewinnen würde.«
»Vielleicht ist das sogar geschehen. Ich wünsche es ihr jedenfalls.« Von ganzem Herzen wünschte ich es ihr. Die Vorstellung, sie könnte in der Überzeugung gestorben sein, beinahe meinen Tod verursacht zu haben, tat unendlich weh. »Was hättest du meinem Vater gesagt, wärst du ihm begegnet?«
»Nichts. Es war eine ziemlich blöde Idee und auch nur aus einem ersten Impuls heraus geboren. Jemand, der ein kleines Kind entführen lässt, um seine Macht zu demonstrieren, hätte mir wohl kaum auf meine Fragen geantwortet. Entschuldige, wenn ich das so offen sage, er ist dein Vater. Aber um was für einen Menschen es sich bei Alexander Benthien handelt, kann ich mir letztlich vorstellen, nachdem ich eine Weile darüber nachgedacht habe.«
Tränen liefen über mein Gesicht. »Mein Vater ist intelligent, humorvoll, gebildet, großzügig, tolerant …« Und er ist zutiefst verdorben, machtbesessen und skrupellos. Tabus, Grenzen und Hürden sieht er lediglich als Herausforderungen, die es zu überwinden gilt.
Niklas kam auf mich zu, zog mich von der Schaukel und umarmte mich.
»Ich bin so unendlich traurig«, stammelte ich. »Und ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie das jemals wieder anders werden soll.«
Seine Arme hielten mich umschlungen. Nicht fest, aber fest genug. Und dann küsste er mich. Wieder und wieder. Und endlich ließ ich mich fallen.
Es war weit nach Mitternacht, als Niklas mit dem Zeigefinger Mandalas auf meinen Rücken malte und dabei leise eine Melodie summte, die ich nicht kannte. Ich lag mit geschlossenen Augen auf dem Bauch und konzentrierte mich auf seinen Finger, um die Fragen zurückzudrängen, auf die ich irgendwann Antworten finden musste. Aber es waren immer nur Momente, in denen ich im Hier und Jetzt und nicht bei diesen Fragen war. Ich sehnte mich nach Antworten, mit denen ich würde leben können. Doch die schien es nicht zu geben.
Nicht zuletzt trieb mich die Frage um, ob ich Niklas irgendwann von den Ereignissen der vergangenen Wochen erzählen konnte. Entschied ich mich dagegen, musste ein ganz entscheidender Teil meines Lebens ausgespart bleiben. Entschied ich mich dafür, lief ich Gefahr, dass er sich von mir abwendete. Gerade er würde sich schwer damit tun, wenn ich meinen Vater nicht anzeigte. Oder vielleicht doch nicht? Immerhin hatte sich sein eigener Vater gegen eine Anzeige entschieden. Alles war viel zu verwoben und verworren.
»Ich wollte Alexander Benthien drankriegen«, sagte Niklas in meine Gedanken hinein. »Wer das tut, was mein Vater in seinem Tagebuch beschrieben hat, ist durch und durch verdorben.« Er hörte auf, Mandalas zu malen, und ließ seine Hand auf meinem Rücken ruhen. »Was er meinen Eltern angetan hat, ist längst verjährt. Ich wollte ihm
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