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Die Todesbotschaft

Die Todesbotschaft

Titel: Die Todesbotschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Kornbichler
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anzusehen, und tat so, als bestehe sie fort. Für Freia war es eine sehr schlimme Zeit. Dass sie durchgehalten hat, rechne ich ihr noch heute hoch an. Sie hat immer wieder Gespräche mit ihrer Schwester geführt, um sie zur Vernunft zu bewegen. Aber vermutlich hätte es keiner von uns verhindern können.«
    »Was verhindern?«, fragte ich, als er nicht weitersprach.
    »Du warst längst auf der Welt, und ich hatte klare Verhältnisse geschaffen. Aber Gesa wollte die Trennung nicht akzeptieren. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit versuchte sie, mich davon zu überzeugen, dass ich mit der falschen Frau verheiratet war. Das wurde zu einer fixen Idee. Bis ich ihr noch einmal mit aller Deutlichkeit klipp und klar gesagt habe, dass ich Freia nie verlassen würde. Und dafür musste sie mich bestrafen.«
    »Indem sie mich bei euch zurückließ?«
    Er schüttelte den Kopf. »Indem sie versuchte, dich und sich selbst umzubringen. Wäre ich nicht rechtzeitig nach Hause gekommen, säßest du jetzt nicht hier.«
    Sekundenlang war ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich hören wollte. Bislang hatte ich es nur mit einer Mutter zu tun gehabt, die mich nicht so hatte lieben können, wie ich es mir gewünscht hatte. Und nun sollte ich sie eintauschen gegen eine, die mich hatte umbringen wollen? Meine Magengrube fühlte sich an, als hätte jemand Säure hineingeschüttet. »Wie hat sie es gemacht?«, fragte ich schließlich kaum hörbar.
    Mein Vater zögerte, er schien sich mit Recht zu fragen, wie viel er mir zumuten konnte. Ob er sich im Klaren darüber war, dass es in all den Jahren geeignetere Momente gegeben hätte als den Tag nach dem Mord an meiner Schwester?
    »Sie hat dir ein Kissen aufs Gesicht gedrückt«, sagte er leise. »Du warst gerade mal ein halbes Jahr alt. Es ist ein Wunder, dass du das überlebt hast. Ein paar Sekunden später hätte sie ihr Ziel erreicht.«
    Ein Kissen, hallte es in mir nach. Die Vorstellung war grauenvoll. Sie schien so monströs, dass ich sie kaum mit mir in Verbindung bringen konnte. »Ist sie im Gefängnis gestorben?«
    Mein Vater schüttelte mit Nachdruck den Kopf. »Ich habe schon damals mehr davon gehalten, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ein befreundeter Arzt hat für die Einweisung in eine Klinik gesorgt. Dort hat sie einige Wochen zugebracht – bis sie sich stabilisiert hatte und draußen wieder einigermaßen lebensfähig war. Während ihres Klinikaufenthalts muss sie wohl begriffen haben, dass sie in die Affäre mit mir zu viel hineininterpretiert hat. Als sie entlassen wurde, hat sie mich um Geld für einen Neuanfang gebeten.« Er zog die Brauen zusammen. »Bei diesem Neuanfang kamst du jedoch nicht vor, Finja. Sie ist auf Nimmerwiedersehen verschwunden, ohne dich noch einmal zu besuchen. Sie hat dich einfach bei uns zurückgelassen. Und so hat Freia dich als ihr Kind angenommen.«
    »Vermeintlich«, fasste ich meine vierunddreißig Jahre währende Erfahrung mit ihr in ein Wort. Ich dachte an all die Verletzungen und Enttäuschungen, die ich so lange mit mir herumgeschleppt hatte. Und an die unzähligen Lügen. Und doch spürte ich einen Hauch von Erlösung. Weil ich endlich eine Erklärung dafür bekommen hatte.
    »Wie ist Gesa gestorben?«, fragte ich.
    »Es konnte nie geklärt werden, ob es ein Suizid oder ein Unfall war. Allem Anschein nach hat sie im Bett geraucht und einen Brand verursacht, bei dem sie ums Leben kam.«
    »Existiert irgendwo noch ein Foto von ihr?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Meine Gedanken wanderten zu meiner Mutter, die eigentlich meine Tante war und nur ein paar Kilometer entfernt im Jägerwinkel vor sich hin dämmerte. Nun verstand ich ihren Blick am Morgen nach Amelies Tod. Sie hatte mit dem Schicksal gehadert, das ihr die Tochter anstatt der Nichte genommen hatte.
    In Gedanken versunken starrte mein Vater in sein Glas. Er schien mich vergessen zu haben. Die Anspannung, die seine Körperhaltung ausstrahlte, war nichts im Vergleich zu dem, was in mir wütete. Ich musste hier raus, allein sein, atmen. Ich leerte mein Weinglas und stand auf. »Wer immer diese Todesanzeige aufgesetzt hat«, sagte ich, »kennt unsere Familienverhältnisse besser als ich.«
     
    Die Dämmerung hatte längst eingesetzt und umhüllte mich wie ein Mantel. Auf meinem Weg am See entlang begegnete ich einzelnen Spaziergängern, aber zum Glück war niemand dabei, den ich kannte. Übers Wasser wehte eine frische Brise, mit der ich meine Lungen füllte. Ein, aus, ein, aus.

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