Die Todesbotschaft
meine Arme rieb. »So wie bei Amelie?«
Einen Moment lang sah er mich regungslos an. »Diejenigen, die auf sie aufpassen sollten, wurden abgelenkt.« Er nahm einen so großen Schluck aus seinem Glas, als ließe sich diese folgenschwere Schlappe damit herunterspülen.
»Abgelenkt?«, fragte ich fassungslos. Das Wort schien so unglaublich banal. »Hast du nicht immer behauptet, gute Bewacher würde man nicht bemerken? Wenn die, die Amelie bewacht haben, genauso schlecht waren wie …«
»Gute Observanten entdeckst du nicht«, fiel er mir ins Wort. »Die beiden, die dir heute gefolgt sind, sollten gesehen werden. Zu deinem Schutz.«
Die Gänsehaut arbeitete sich meinen Nacken hinauf. »Bedeutet das, es gibt eine Todesanzeige, die auch meinen Tod ankündigt?«
»Nein«, antwortete mein Vater mit Nachdruck. »Du hast mein Wort: Es gibt nichts dergleichen.«
»Wenn es niemanden gibt, der mein Leben bedroht, von wem sollten die beiden dann gesehen werden?«
»Nimm es als eine Art ungezieltes Kettenrasseln, mehr ist es nicht.«
Diese Antwort war nicht unbedingt dazu angetan, mich zu beruhigen. Ich wechselte das Thema. »Haben deine Leute dir berichtet, dass ich heute Nachmittag das Grab meiner Mutter besucht habe?«
Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und legte den Kopf in den Nacken. Dann sah er mich eine ganze Weile stumm an, bis er eine Hand ausstreckte und über meine Finger strich. »Ach, Finja, das ist alles so lange her, und ich hätte es dir gerne erspart. Dieses ganze Gerede über die eigenen Wurzeln ist ein einziger Bullshit, wenn du mich fragst. Es kommt doch immer nur darauf an, was du selbst aus deinem Leben machst. Das allein macht dich doch letztendlich aus.«
»Es kommt auch darauf an zu verstehen. Zum Beispiel, warum meine leibliche Mutter mich abgegeben hat.«
Selbst jetzt noch schien er mit sich zu ringen, wie viel er preisgeben sollte. Er sah auf den See hinaus. »Gesa, deine leibliche Mutter lebte nach dem Tod deiner Großeltern bei uns. Sie war sechzehn, als sie verunglückten, und es schien am sinnvollsten, dass sie zu uns zog. Hätte ich geahnt, dass sie sich in mich verlieben würde, hätte ich mit Sicherheit nach einer anderen Lösung gesucht. In meinen Augen war sie fast noch ein Kind. Allerdings hat sich dieses Kind dann rasend schnell zu einer sehr attraktiven jungen Dame entwickelt. Und ich habe nicht rechtzeitig die Notbremse gezogen, um mich ihren Reizen zu entziehen.« Er griff nach seinem Stock, um ihn wieder und wieder durch die Finger gleiten und auf den Terrassenboden sausen zu lassen.
Ich machte eine abwehrende Handbewegung. »Bitte … das macht mich nur noch nervöser.«
Er lehnte den Stock gegen seinen Stuhl und versuchte, den Faden wieder aufzunehmen. »Ohne es beschönigen zu wollen: Ich hatte eine kurze Affäre mit ihr. Für mich kam gar nichts anderes in Frage, schließlich war ich mit Freia verheiratet. Und ich nahm an, dass ihr das klar war. Als Gesa schwanger wurde, habe ich – das muss ich leider zugeben – versucht, sie zu einer Abtreibung zu bewegen. Aber diese Lösung kam für sie nicht in Frage. Sie wollte dich unbedingt. Vielleicht, weil sie glaubte, mit dir einen Trumpf in der Hand zu haben, damit ich doch noch meine Frau verließ, um sie zu heiraten. Ich kann ihr das nicht einmal verdenken, Finja. Sie war siebzehn, als sie schwanger wurde, und sie hatte eine völlig verklärte Vorstellung von Ehe und Kindern.« Er atmete tief durch und bewegte seinen Unterkiefer hin und her, als müsse er ihn entspannen. »Also kam die ganze Sache heraus. Dass Freia nicht gerade erfreut war, muss ich wohl nicht sonderlich herausstreichen. Zumal wir zum damaligen Zeitpunkt schon einige Jahre verheiratet waren und sie bislang nicht schwanger geworden war. Es muss sie viel Kraft gekostet haben, ihre kleine Schwester und deren stetig wachsenden Bauch um sich zu haben. Aber sie hat es gemeistert.« Es klang, als bewundere er sie noch heute dafür. »Letztlich war sie die Stabilere der beiden Schwestern. Vielleicht war Gesa auch einfach zu jung gewesen, um ein Kind zu bekommen. Was ich damit sagen will, ist, dass deine leibliche Mutter zunehmend labiler wurde. Wir nahmen an, es läge an der Schwangerschaft und würde sich nach deiner Geburt geben. Aber es wurde eher schlimmer. Ihr Zustand steigerte sich bis in einen Wahn. Sie beharrte darauf, dass sie, du und ich zusammengehörten und nichts uns trennen durfte. Sie weigerte sich, unsere Affäre als beendet
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