Die Todesspirale
gebracht hatte.
Sieben
Lustlos öffnete ich am Sonntagmorgen die Tür zum Präsidium. Ich wollte Jaana Markkanens Vernehmung möglichst schnell hinter mich bringen. In der Nacht war mir die kleine Minni im Traum erschienen, ich hatte in den Wehen gelegen und ein Mädchen auf die Welt gepresst, das nicht atmete. In meinem Traum hatte ich gewusst, dass es sich um Minni handelte und dass sie mit einem Schlittschuh erschlagen worden war. Antti war von meinem Schrei aufgewacht und hatte mich geweckt. Es hatte lange gedauert, bevor ich erneut Schlaf fand.
Als Partner bei der Vernehmung hatte ich Koivu eingeteilt, weil Puupponen und Pihko nicht im Dienst waren. Außerdem hatte ich vor, den Nachmittag im Eisstadion zu verbringen, wo Rami und Elena mit Silja trainierten, und nahm an, dass Koivu mich begleiten wollte. Ich kam mir beinahe vor wie eine alte Tante, die nichts Besseres zu tun hat, als junge Leute zu verkuppeln. Als wir uns vor vier Jahren kennen gelernt hatten, hatte Koivu zuerst versucht, bei mir zu landen, dann hatte er sich in eine herrische Krankenschwester verliebt, die ihn später wegen eines Neonazis aus Joensuu sitzen ließ. Danach folgten zwei von Anfang an zum Scheitern ver-urteilte Beziehungen, zuerst mit einer fast Vierzigjährigen, die Koivu benutzte, um sich an ihrem untreuen Mann zu rä
chen, dann mit einer karrieregeilen Betriebswirtschaftlerin, die vor einem Monat nach Brüssel entschwunden war. Ich hatte seine Abenteuer amüsiert, aber auch besorgt verfolgt und hoffte, er würde eines Tages die Richtige finden.
Obwohl ich mit einer anstrengenden Vernehmung gerechnet hatte, erschreckte mich die Verfassung, in der ich Jaana Markkanen antraf. Nachdem ihr Rausch in den frühen Mor-genstunden abgeklungen war, hatte sie dem Aufsichtsbeamten zufolge pausenlos geheult, sich jedoch geweigert, Schlaf-tabletten oder Beruhigungsmittel zu nehmen. Nun saß sie vor mir im Vernehmungsraum und sah aus, als hätte sie Dutzende von schlaflosen Nächten hinter sich.
Die Vernehmung an sich war unproblematisch, denn Jaana gab zu, ihr Kind erstickt zu haben, erinnerte sich allerdings nicht genau an den Hergang. Sie war im Restaurant «Fishmaid» gewesen, wo Vesku Teräsvuori seine Karaokeshows veranstaltete. Im Lauf des Abends hatte sie mindestens sieben Salmiakschnäpse und mehrere Longdrinks gekippt. Sie wusste nicht mehr, wie sie nach Hause gekommen war, und auch die Erinnerung an ihre Tat war verschwommen. Am Morgen war sie wie von einer inneren Uhr geweckt worden, um die Zeit, zu der Minni gewöhnlich hungrig schrie. Doch die Kleine hatte still in ihrem Bettchen gelegen, und als Jaana sich über sie beugte, um auf ihren Atem zu lauschen, hatte sie gemerkt, dass ihr Kind nicht mehr lebte.
«Sie war blaurot angelaufen und hat nicht geatmet, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Zum Glück war am Telefon so ein Aufkleber, eins eins zwei», schluchzte Jaana. «Begreift ihr, dass ich das Schlimmste getan hab, was man sich vorstellen kann? Ich hab mein eigenes Kind umgebracht. Ich will nicht mehr leben! Warum habt ihr mich nicht vom Balkon springen lassen?» Sie hatte ein unbezwingliches Bedürfnis zu reden, uns und auch sich selbst zu erklären, wieso sie ihre Tochter getötet hatte. Sie war erst zwanzig. Minnis Vater war eine Zufallsbekanntschaft gewesen, aber Jaana hatte das Kind trotzdem gewollt. Aufgrund ihrer Schwangerschaft hatte sie eine Sozialwohnung bekommen. Doch das Leben als Mutter war nicht nur süße Symbiose gewesen.
«Die ersten Monate hing sie mir die ganze Zeit an der Brust, kaum dass ich mal aufs Klo konnte, schon schrie sie nach mehr. Aber wenn sie schlief, war sie wahnsinnig süß.
Wie ein Engelchen. Und als ich sie mit fünf Monaten abge-stillt hab, bin ich ab und zu auch mal wieder unter die Leute gekommen. Ich könnt mich doch nicht in dem Betonbunker vergraben, bloß weil ich ein Kind hab. Und die Nachbarin hat gern auf sie aufgepasst.»
Die meiste Zeit hörten Koivu und ich einfach zu. Der Fall war klar, wir würden Jaana das Protokoll der Voruntersuchung unterschreiben lassen und beim Gericht Haftbefehl beantragen. Sobald er, sicher schon am nächsten Tag, vorlag, würde Jaana nach Hämeenlinna ins Frauengefängnis eingeliefert werden, um auf ihren Prozess zu warten. Man konnte nur hoffen, dass sie einen kompetenten Rechtsbeistand bekam, der die entscheidenden Details aus ihrem Redefluss herausfilterte: Kindheit in einer Alkoholikerfamilie, Arbeitslosigkeit, abgebrochener
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