Die Todesspirale
Immerhin war es möglich, dass Janne, der an der TH
studierte, genug praktischen Ingenieursverstand besaß, um die Zentralverriegelung neu zu programmieren.
Nooras Tagebücher lagen griffbereit auf dem Schreibtisch, ich schlug aufs Geratewohl den dreizehnten Band auf, den sie schrieb, als ihre Mutter die Familie verließ.
Mutsch hat heute einen irrsinnigen Wutanfall gekriegt, wie neuerdings fast jeden Tag. Sie hat Sami das Wischtuch ins Gesicht geknallt, weil er seinen Teller nicht in die Spülmaschine geräumt hatte. Mich hat sie angebrüllt, weil ich die Sportsachen nicht so ordentlich auf die Leine gehängt hatte, wie sie es haben will.
Schlagen wollte sie mich auch, aber ich hab sie noch rechtzeitig am Arm gepackt, und das hat sie wohl zur Vernunft gebracht. Paps hat ihr knallhart gesagt, sie wäre übergeschnappt.
Mit Paps ist auch nichts anzufangen, der guckt dauernd diese blöden Lkw Rennen auf Eurosport, kippt ein Bier nach dem an-dern und wird immer fetter. Wie soll ich jemals schlank werden, wenn ich von beiden Seiten haufenweise Fettzellen geerbt habe?
Ohne den Eislauf und Janne könnte ich diese Familie und die tödliche Langeweile in der Schule nicht ertragen. Wir sind mitten in der intensiven Trainingsphase, da sehe ich ihn jeden Tag. Janne ist so süß, wenn er mich anschaut und lächelt …
Ulrika reitet die ganze Zeit darauf herum, wie wichtig die Unterstützung der Eltern ist. Da kann ich bloß lachen! Klar, die fahren mich zum Training, das ja, aber das so genannte geistige Klima ist ein besserer Witz, bei einem Vater, der entweder in der Firma hockt oder säuft, und einer neurotischen Mutter, die verzweifelt versucht, was Besseres zu sein. Sie hat sich das gleiche Kostüm gekauft wie Ulrika und war stocksauer, als ich gesagt hab, Dunkel-lila steht ihr nicht.
Dann folgten wieder seitenlange Loblieder auf Janne, de-taillierte Berichte über das, was er wann gesagt und wie er Noora angesehen hatte. Es war mir peinlich, diese Ergüsse zu lesen, ich übersprang sie und blätterte weiter zum Ende des Bandes, wo von Hanna und Vesku Teräsvuori die Rede war.
Heute war ich nach der Schule in der Itämerenkatu bei Mutsch und diesem Vesku. Die Wohnung war furchtbar unordentlich, zu Hause hätte Mutsch so was nie geduldet, aber vielleicht hat sie wirklich ein neues Leben angefangen. Da saß sie nun in einem ge-schmacklosen, tief ausgeschnittenen Minikleid, in dem ihr breiter Hintern und ihre dicken Oberschenkel voll schrecklich aussahen, und erklärte mir, sie müsste endlich auch mal an sich selber denken, bisher hätte sie bloß für Paps und uns Kinder gelebt. «Dein Vater kann sich eine Haushälterin leisten, mehr bin ich ja sowieso nicht gewesen. Er prahlt doch immer mit seinem Geld, das ist das Einzige, was für ihn zählt», hat sie gesagt und dabei mit ihren gro
ßen Kuhaugen Vesku angesehen, der neben ihr saß und alberne Schlager trällerte. Total lächerlich, wenn die eigene Mutter versucht, jung und verliebt zu wirken, sie ist immerhin schon vier-unddreißig. Mutsch hat gesagt, sie hätte die Scheidung eingereicht, das Haus und alles andere könnte Paps behalten, aber sie würde für all die Jahre rückwirkend Gehalt verlangen.
Ich hatte mich mit Janne an der U Bahn Station in Ruoholahti verabredet, er hat mich da abgeholt und zum Training gefahren.
Zum Glück hat Mutsch mich nicht begleitet. Als ich ging, hat sie gesagt, sie hätte Sami und mich lieb, aber sie könnte nicht ihr Leben lang nur Mutter sein. Sie wollte mit Teräsvuori noch ins Kino und dann essen gehen. Paps hat sie nie ausgeführt, außer zum Be-triebsfest. Und Teräsvuori schenkt ihr angeblich jeden Tag rote Rosen. Ob es schön ist, so verwöhnt zu werden? Bestimmt. Allerdings fällt es mir schwer, mir die beiden im Bett vorzustellen, aber das hab ich mir von Mutsch und Paps ja auch nie vorstellen können, obwohl ich sie manchmal gehört habe und mir das Kissen über die Ohren ziehen musste. Zum Kotzen!
Als ich in Jannes Nissan gestiegen bin, war mir zum Heulen, aber dann ging es wie immer mit Janne: Er hat über irgendwas Witze gerissen und ich hab meinen Kummer vergessen, weil er so süß ist.
Warum hatte Hanna ihren Liebhaber wieder verlassen? Fand ich die Antwort in Nooras Tagebüchern? Warum in aller Welt riss mich die alltägliche und zugleich missratene Welt der Nieminens so mit, was faszinierte mich daran? Glaubte ich, in ihrer Familie oder in Nooras Tagebüchern die Erklärung für den Mord zu finden?
Zu
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