Die Todesspirale
Krankenschwester. «Ist in den letzten Tagen etwas Besonderes vorgefallen?»
Ich dachte an meinen unfreiwilligen Aufenthalt im Fitnesscenter und an die gestrige Rangelei mit dem Kinderschänder und überlegte, ob ich darüber sprechen sollte. Die Krankenschwester war ein paar Jahre jünger als ich, eine ausgesprochen vernünftige Frau, die eine Schwangerschaft keineswegs als Krankheit betrachtete.
Dennoch sagte ich ausweichend: «Nur ein bisschen Stress, weil ich vor dem Urlaub noch einige Fälle abschließen muss.»
«Wenn sich der Blutdruck nicht normalisiert, muss ich dich krankschreiben.» Es klang wie eine Drohung, obwohl ihre Stimme freundlich blieb. «Komm am Montag zur Kontrolle.
Passt es dir um acht?»
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich nach der Untersuchung nicht sofort nach Hause fuhr, um mich auszuruhen.
Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wie Bettruhe meinen Blutdruck senken sollte, denn ich würde doch nur über die unerledigten Aufgaben nachdenken.
Sowohl «Tommy’s Gym» als auch die Wohnung der Familie Liikanen Grigorieva lagen ganz in der Nähe. Würde es etwas bringen, vorbeizuschauen? Ich beschloss, mein Glück zu versuchen, irgendein Vorwand würde mir schon einfallen.
Irina Grigorieva öffnete mir. Sie war noch ein Kind, ganz ohne weibliche Rundungen, sogar klein für ihr Alter. Auf ihrem Gesicht lag der streng konzentrierte und zugleich träu-merische Ausdruck einer kleinen Ballerina.
«Ja, Mutter ist zu Hause», antwortete sie auf meine Frage.
Wie mochte es gewesen sein, als Siebenjährige in ein fremdes Land zu ziehen, in die Schule zu gehen, ohne die Sprache zu beherrschen und die sozialen Verhaltensmuster finnischer Kinder zu kennen?
«Was wollen Sie denn schon wieder?» Elena Grigorieva kam mit nassen Händen aus der Küche. «Ich habe nicht viel Zeit, um viertel nach drei beginnt das Anfängertraining.»
Ihre Gesichtszüge wirkten noch schärfer als zuvor, die gro
ße Nase warf Schatten auf das knochige Gesicht und gab ihr ein exotisches Aussehen. Ich redete nicht lange um den hei
ßen Brei: «Sie haben mir nicht gesagt, dass Ihr Mann Vesku Teräsvuori kennt.»
Ihre Augen funkelten, doch gleich darauf hatte sie sich wieder unter Kontrolle.
«Wen soll er kennen?»
«Nun hören Sie aber auf, Sie wissen genau, wer Vesku Teräsvuori ist. Der Mann, der die Familie Nieminen belästigt.»
«Ach, der! Wie kommen Sie darauf, dass er mit Tomi befreundet wäre?»
Ich gab keine Antwort, starrte sie nur an. Sie drehte das Geschirrtuch in den Händen.
«Ich kenne nicht alle Freunde von Tomi! Jeder von uns führt sein eigenes Leben.»
Ich sah sie einfach weiter unverwandt an. Natürlich hatte sie sich mit ihrem Mann über Hanna Nieminens Affäre und über Teräsvuoris Terrorkampagne unterhalten, und sie wusste genau, dass ich mir das denken konnte. Die Bekanntschaft zwischen ihrem Mann und Teräsvuori konnte ihr nicht verborgen geblieben sein – es sei denn, Tomi hätte sie ihr ab-sichtlich verheimlicht.
«Wo haben Sie Ihren zweiten Mann kennen gelernt?», fragte ich schließlich. Mir tat der Rücken weh, ich lehnte mich an die Wohnungstür und hätte mich liebend gern hin-gesetzt, aber Elena Grigorieva machte keine Anstalten, mich ins Wohnzimmer zu bitten.
«Tomi? In Moskau. Damals lebte Anton noch, mein erster Mann. Er hatte ihn bei der Einweihung eines Fitness Studios kennen gelernt, das Tomi in unserem Eisstadion eingerichtet hat. Damals hatte der Staat noch Geld für solche Sachen, heute taugt das Eis kaum mehr zum Laufen …» Sie blickte auf das Geschirrtuch, als wundere sie sich, was es in ihrer Hand zu suchen hatte, und warf es in die Küche.
«Haben Sie noch Fragen? Ich muss bald gehen.»
«Sie haben mir noch nicht gesagt, wie Sie selbst Tomi kennen gelernt haben.»
«Ob Polizei oder Miliz, es ist immer dasselbe. Wenn ihr Fragen stellen wollt, ist alles andere nebensächlich!», brauste sie auf. Mir fiel ein, wie sie sich bei unserer ersten Begegnung darüber gewundert hatte, dass ich keine Unordnung machte, im Gegensatz zur Miliz «bei uns in Moskau», die immer alles auf den Kopf stellte.
«Sind Sie zur Sowjetzeit von der Miliz schikaniert worden?»
«Nicht von der Miliz! Vom KGB. Wir waren ja oft zu Wettkämpfen im Ausland und hatten zu viele amerikanische Bekannte. Wir standen im Verdacht, uns bei der ersten Gelegenheit abzusetzen.» Sie warf einen besorgten Blick auf die Tür, hinter der Irina verschwunden war. «Aber wir wussten natürlich,
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