Die Todesspirale
war, zehn Stunden am Tag zu arbeiten. Ich streckte mich auf dem Sofa aus, an dessen Armlehne noch der Zitrusduft von Jannes Rasierwasser haftete, und betrachtete meinen Bauch, den Schnüppchens Po hochwölbte. Alle schienen wahnsinnig gespannt zu sein, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt brachte.
Anttis Eltern hofften auf ein Mädchen, da sie bereits zwei Enkelsöhne hatten. Ich selbst wagte mir kaum einzugeste-hen, dass ich mir ein Mädchen wünschte. Es war ein egoisti-scher Wunsch, als könnte ich mich so dafür entschädigen, dass ich selbst für meine Eltern nur ein schwacher Ersatz für den erhofften Sohn gewesen war. Zugleich erschrak ich bei der Erkenntnis, dass ich damit auch bloß verzerrte Erwartungen auf mein ungeborenes Kind übertrug.
Die Augen fielen mir zu. Schnüppchen strampelte immer heftiger. Ich legte die Arme um den Bauch, als wollte ich mein Kind umarmen und ihm versichern, dass es, ob Junge oder Mädchen, willkommen war.
Das Telefon riss mich aus meinen zärtlichen Gedanken.
Koivu, der seit dem frühen Morgen in seinem Wagen vor Vesku Teräsvuoris Haus in der Itämerenkatu auf der Lauer lag, sprudelte aufgeregt los.
«Ich bin jetzt in der Otavantie in Lauttasaari. Teräsvuori wurde vor zehn Minuten von einem weißen Lieferwagen abgeholt.»
«Lass mich raten, was auf dem Wagen steht», unterbrach ich ihn. «Tommy’s Gym, stimmt’s?»
«Richtig. Der Fahrer ist ein kleiner Mann mit breiten Schultern und Meckifrisur.»
Das konnte nur Tomi Liikanen sein.
«Was treiben die beiden in der Otavantie?»
«Sie sind in das Etagenhaus gegangen, vor dem ich jetzt stehe. Übrigens ein hübscher Zufall. Vor einigen Jahren wurde in diesem Haus mit Drogen gehandelt. Du erinnerst dich sicher daran, wir waren damals beide bei der Kripo in Helsinki. Es ging um die Mattinen Bande, weißt du noch? Einer der Drahtzieher hat hier gewohnt, im B Aufgang. Er wurde letztes Jahr aus der Haft entlassen, und ich habe schon überprüft, ob er noch unter dieser Adresse gemeldet ist. Ist er.
Wollen wir wetten, dass Teräsvuori und Liikanen in der Wohnung B 48 zu Besuch sind?»
Dreizehn
Es nieselte wie seit Wochen, als ich am frühen Abend nach Matinkylä zum Eisstadion fuhr. In der Kantine hatten sich die Kollegen über Urlaubsziele auf den Kanarischen Inseln unterhalten, niemand rechnete mehr damit, dass sich das Wetter in Finnland bessern würde. Es war nun schon Ende Mai, doch in den Geschäften wurden Gummistiefel statt Bi-kinis verkauft.
«Du bist sicher froh, dass wir keine Hitzewelle haben», hatte Pihko beinahe vorwurfsvoll gesagt.
«Solange ich noch in meinen Regenmantel passe», hatte ich geistesabwesend erwidert, denn mir gingen ganz andere Dinge durch den Kopf. Auch wenn ich Koivus Nachricht nicht so aufregend fand, wie er wohl erwartet hatte, eröffnete sie doch verwirrende neue Aspekte. Koivu hatte versprochen, Teräsvuori bis zum Abend weiter zu observieren, obwohl Ström ihn lautstark für einen seiner Fälle angefordert hatte. Noch gegen Mittag hatte Ström verdächtig nach Schnaps gerochen. Fast machte ich mir Sorgen um ihn, zumindest wollte ich seinen Name nicht eines Tages auf der langen Liste von Polizisten sehen, die der Berufsstress in den Alkoholismus getrieben hatte. Zur Risikogruppe gehörte er allemal: über fünfunddreißig, geschieden, kaum Freunde.
Ich stellte die Scheibenwischer auf Höchststufe, der Lkw vor mir ließ Schmutzwasser aufspritzen, zeitweise konnte ich kaum etwas sehen. Ein unglücklicher Fußgänger wurde bis zur Taille nass, als der Lkw durch eine Riesenpfütze bretterte, um bei Gelb über die Kreuzung zu kommen.
Auf dem Parkplatz vor dem Eisstadion standen massenhaft Autos, in denen wartende Eltern saßen. Seit Nooras Tod wurden auch die Kinder abgeholt, die keinen weiten Heimweg hatten. Das verstand ich. Wofür ich kein Verständnis hatte, waren Leute, die mit dem Auto direkt vor die Tennishalle fuhren oder die sich beschwerten, wenn man unmittelbar vor einem Geschäft nicht parken konnte. Das schien zu den städtischen Geflogenheiten hier in Espoo zu gehören. An die hatte ich mich als Kind vom Land noch immer nicht ge-wöhnt.
Offenbar war der Zeitplan des ELV durcheinander geraten, denn als ich die Halle betrat, war das Training der kleinen Eiskunstläufer noch in vollem Gang. Nach ihnen waren offenbar die Eishockeyjunioren an der Reihe, auf dem Flur wimmelte es nämlich von pickligen Vierzehnjährigen, die mit ihren Polsterungen wie Wesen von
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