Die Toechter der Familie Faraday
vorbei an den anderen Wohnwagen. Tollpatsch war auch dabei, und auch er lief auf sie zu!
Maggie sprang auf. »Mum! Sadie, sieh doch!« Maggie lief los. Sadie packte sie am Arm.
Sie riss sich los. »Sadie, sieh doch, das ist Mum. Lass mich los.«
Sie lief weiter. Ihre Mum rannte auf sie zu. Clementine weinte. Maggie musste auch weinen. Sie begegneten sich mitten auf dem Rasen, bei den Wasserhähnen. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hob Clementine sie schon hoch, nahm sie in die Arme und drückte sie so fest, dass es wehtat. Dann sagte sie immer und immer wieder: »Maggie, Maggie, Maggie.«
»Mum, du tust mir weh.«
Sie ließ trotzdem nicht los. »Maggie, geht es dir gut? Bist du in Ordnung? Ist alles in Ordnung?«
Maggie beugte sich zurück. Es war ihre Mum! »Geht es dir besser? Ist dein Husten weg?«
»Geht es dir gut, Maggie, geht es dir gut?«
Sie nickte. Natürlich ging es ihr gut. Maggie verstand nicht, wieso ihre Mutter immer wieder fragte. Ihre Mum war doch krank gewesen, nicht sie. Sie befreite sich aus ihren Armen und nahm Clementine bei der Hand. Sie hüpfte vor lauter Aufregung. »Komm und sieh dir unseren Wohnwagen an.«
Maggie sah zum Feuer. Tollpatsch stand schon bei Sadie. Doch sie lachten nicht, und sie sprachen auch nicht. Tollpatsch hielt Sadie am Arm. Dann geschah etwas sehr Seltsames. Ihre Mum packte sie an den Schultern und sagte mit eigenartiger Stimme zu ihr: »Bleib hier, Maggie.« Dann sah Maggie, wie Clementine zu Sadie ging und ihr ins Gesicht schlug, dann in den Bauch, dann wieder ins Gesicht. Immer wieder, bis Tollpatsch eingriff.
Maggie konnte es nicht fassen. Ihre Mum hatte noch nie jemanden geschlagen. Sie fing an zu weinen. »Nein, Mum, nicht!«
Tollpatsch erschien neben ihr. Er beugte sich nach unten und hob sie hoch. »Komm mit, kleine Maggie.«
Maggie weinte noch immer. Sie versuchte, ihm über die Schulter zu schauen, aber Tollpatsch drehte sich mit ihr um, da konnte sie nichts mehr sehen.
Tollpatsch ging mit ihr zum Strand, rieb ihr den Rücken und sagte: »Sch, sch, sch. Alles gut. Maggie, es ist alles gut.«
»Aber warum hat Mum denn Sadie geschlagen?«
»Mach dir darüber keine Gedanken.« Er umarmte sie ganz fest. Es tat genauso weh wie vorhin bei ihrer Mum. »Geht es dir gut, Maggie? Hast du Spaß gehabt?«
Maggie nickte. Sie waren am Strand. Tollpatsch kniete sich in den Sand und hielt sie immer noch fest. Sie hatte ihm so viel zu erzählen. Sie erzählte ihm, wie sie das Haar rot gemacht und Fischstäbchen gegessen hatten. Sie war gerade dabei, ihm von den Bildern im Sand zu erzählen, als sie merkte, dass er sie sonderbar anschaute. Sie dachte, er würde lächeln, aber das tat er nicht.
»Tollpatsch, was ist denn? Bist du traurig?«
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht mehr, Maggie.«
Sie schlang die Arme um seinen Hals. »Du hast mir gefehlt, Tollpatsch.«
Zu ihrem Erstaunen fing Tollpatsch an zu weinen, die Tränen liefen ihm über die Wangen. »Du hast uns auch gefehlt, Maggie.«
Teil Zwei
19
Greenwich Village, New York, 2006
Maggie Faraday stand inmitten eines kleinen Studioapartments, das im sechsten Stockwerk eines Wohnhauses zwei Blocks nördlich der Bleecker Street lag. Es war seit zwölf Wochen und fünf Tagen ihr Zuhause.
»Fast fertig«, sagte sie laut, als sie betrachtete, was sie an diesem Morgen geschafft hatte. Sie sprach in letzter Zeit häufig mit sich selbst. Noch beunruhigender war, dass sie sich auch selbst antwortete. Sie nahm das Notizbuch aus ihrer Hosentasche und überprüfte ihre Liste. Zehn Aufgaben erledigt, blieben nur noch drei.
Sie zog die roten Vorhänge zu. Das Apartment wurde augenblicklich in ein warmes, gemütliches Licht getaucht. Der alte Holztisch, der in der Mitte des Zimmers stand, war schon poliert. Maggie hatte ihn in der Woche zuvor bei einem Straßenverkauf ergattert. Eine kleine Bar hatte die gesamte Einrichtung veräußert. Maggie hatte den irischen Barmann dazu überreden können, ihr beim Tragen zu helfen. Beim Betreten des Apartments hatte sie auf die Frage gewartet, warum sie so ein altes Stück haben wollte, das doch gar nicht zu der übrigen eleganten Einrichtung passte. Angus hätte so etwas gesagt, wenn sie einen solchen Tisch mit in ihr gemeinsames Apartment in London gebracht hätte. »Du bist was Albernes und Drolliges«, hätte er gesagt.
Sie fand den Tisch weder albern noch drollig. Sie mochte die Altersspuren, den Geruch und die raue Oberfläche, auf der gelangweilte Gäste
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