Die Toechter der Kaelte
erste Zeichen von Gefühl, das sie entdeckten. »Wie meinst du das?« fragte Niclas unsicher, und sein Blick flackerte zwischen Patrik und Martin hin und her.
»Wir wissen es«, sagte Martin ruhig und blätterte demonstrativ in den vor ihm liegenden Papieren. Er hatte die Faxausdrucke kopiert, so daß Patrik und er je ein Exemplar besaßen.
»Was ist es, das ihr zu wissen glaubt?« fragte Niclas, und seine Stimme wirkte leicht aufmüpfig. Aber er konnte es nicht verhindern, daß sein Blick immer wieder an den Blättern vor Martin haftenblieb.
»Dreizehnmal ist Albin wegen verschiedener Arten von Verletzungen behandelt worden. Was sagt dir das als Arzt? Was würdest du selbst für Schlüsse ziehen, wenn jemand dreizehnmal mit einem Kind in die Klinik kommt, das Verbrennungen, Knochenbrüche und Schnittwunden hat?«
Niclas preßte die Lippen zusammen.
Patrik fuhr fort: »Ja, nun seid ihr zwar mit ihm nicht jedesmal zur selben Stelle gefahren. Das hätte ja bedeutet, das Schicksal herauszufordern, oder nicht? Aber nimmt man alle Patientenakten zusammen, die es im Krankenhaus von Uddevalla und den umliegenden Behandlungszentren gibt, dann zählt man dreizehn verschiedene Fälle. Ist Albin ein Kind, das besonders oft Unfälle erleidet, oder?«
Noch immer keine Antwort von Niclas. Patrik betrachtete Niclas’ Hände. Waren diese Hände fähig, einem kleinen Kind weh zu tun?
»Vielleicht gibt es eine Erklärung dafür«, sagte Martin mit absichtlich sanfter Stimme. »Ich meine, ich kann verstehen, wenn es manchmal zuviel wird. Ihr Ärzte arbeitet ja von früh bis spät und seid ausgepumpt und gestreßt. Sara war außerdem ein sehr forderndes Kind, und dazu kam noch ein kleines Baby, das kann ja den Ruhigsten in die Knie zwingen. All den Frust muß man schließlich ablassen, man muß sich Luft machen. Wir sind doch trotz allem nur Menschen, stimmt’s? Und das kann ja erklären, warum es keine weiteren Meldungen solcher >Unglücksfälle< gab, seit ihr nach Fjällbacka gezogen seid. Hilfe bei der Hausarbeit, nicht so viel Streß im Job, alles wurde wohl plötzlich leichter. Es war nicht mehr nötig, den Frust rauszulassen.«
»Du weißt nichts über mich und mein Leben. Bilde dir das bloß nicht ein«, erwiderte Niclas unerwartet scharf und starrte auf die Tischplatte. »Ich werde mit euch nicht über diese Sache reden, also könnt ihr euch dieses Psychologengequatsche sparen.«
»Du hast also keinen Kommentar zu all dem, meinst du das?« fragte Patrik und wedelte mit seinem Exemplar der Kopien.
»Nein, habe ich gesagt«, antwortete Niclas und studierte weiter die Oberfläche des Tisches.
»Du begreifst doch, daß wir diese Angaben dem Jugendamt melden müssen?« fragte Patrik und beugte sich zu Niclas vor. Erneut nur dieses leichte Beben der Lippe.
»Ihr tut, was ihr müßt«, sagte Niclas mit belegter Stimme. »Habt ihr vor, mich hierzubehalten, oder kann ich jetzt gehen?«
Patrik erhob sich. »Du kannst gehen. Aber wir werden weitere Fragen an dich haben.«
Er begleitete Niclas zur Eingangstür, aber keiner von ihnen unternahm auch nur den Versuch, dem anderen die Hand zu geben.
Patrik kehrte zu Martin ins Vernehmungszimmer zurück.
»Was hältst du davon?« fragte der.
»Ich weiß wirklich nicht. Ich hatte wohl eigentlich etwas mehr an Reaktionen erwartet.«
»Ja, es schien, als sei er völlig von der Außenwelt abgekoppelt. Aber ich vermute, daß sich vielleicht Trauer so äußert. Nach dem, was du erzählt hast, stürzte er sich ja sofort wieder in die Arbeit, so als sei nichts geschehen, und außerdem mußte er zu Hause Stärke zeigen, weil Charlotte zusammengebrochen war. Jetzt, wo sie wieder stärker ist, hat ihn vielleicht die Trauer eingeholt. Was ich meine, ist wohl eigentlich, daß wir nicht davon ausgehen können, daß er etwas getan hat, auch wenn er sich so sonderbar verhält. Die Umstände sind ziemlich außergewöhnlich.«
»Ja, du hast recht«, erwiderte Patrik seufzend. »Aber von bestimmten Fakten können wir nicht absehen. Er hat Jeanette gebeten, wegen des Alibis zu lügen, und wir wissen immer noch nicht, wo er eigentlich gewesen ist. Und wenn diese Akten nicht davon berichten, daß Albin mißhandelt worden ist, dann soll mich der Teufel holen. Und wenn ich raten soll, wer als Täter vor allem in Frage kommt, dann ist es ganz klar Niclas.«
»Also schicken wir eine Anzeige ans Jugendamt, wie du gesagt hast?« fragte Martin.
Patrik zögerte. »Wir müßten es umgehend tun, aber
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