Die Toechter der Kaelte
Mordermittlungen, in die er bisher verwickelt war, nicht das von ihm gewünschte Resultat erzielt hatten, aber früher oder später würde er seine Vorgesetzten wohl überzeugen können, daß sein Platz in der Zentralbehörde war. Vielleicht gelang es gerade mit diesem Fall.
Er sah ein, daß Hedström auf eine andere Reaktion von ihm wartete, und fügte eilig hinzu: »Du meinst, jemand hat das Kind umgebracht? Nun, dieser Schurke wird uns nicht entkommen.« Mellberg ballte die Hand zur Faust, um das Gewicht seiner Worte zu unterstreichen, doch das Ergebnis war nur ein bekümmerter Ausdruck in Patriks Augen.
»Fragst du dich, was die Todesursache war?« fragte Hedström, als wollte er ihm auf die Sprünge helfen. Mellberg fand den Tonfall des Burschen äußerst irritierend.
»Selbstverständlich. Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen. Nun, was sagte der Rechtsmediziner zu der Sache?«
»Sie ist ertrunken, aber nicht im Meer. Man fand nur Süßwasser in ihrer Lunge, und da man auch Seifenreste und ähnliches entdeckte, meinte Pedersen, daß es sich vermutlich um Badewasser handelt. Das Mädchen ist also irgendwo drinnen in einer Badewanne ertränkt und dann ins Meer geworfen worden, damit es wie ein Unfall aussah.«
Das Bild, das durch Hedströms Darstellung vor seinem inneren Auge entstand, ließ Mellberg erschauern und eine Sekunde seine eigenen Beförderungsmöglichkeiten außer acht lassen. Er war der Ansicht, in seinen Dienstjahren schon fast alles erlebt zu haben, und er war stolz darauf, sich nicht berühren zu lassen, aber wenn es um Mord an Kindern ging, konnte man einfach nicht unbeeindruckt bleiben. Es überschritt sozusagen die Grenze aller Anständigkeit, über ein kleines Mädchen herzufallen, und das Gefühl der Entrüstung, das die Sache bei ihm hervorrief, fühlte sich ungewöhnlich, aber, wie er tatsächlich zugeben mußte, recht angenehm an.
»Kein offensichtlicher Täter?« fragte er.
Hedström schüttelte den Kopf. »Nein, wir wissen von keinerlei Problemen in der Familie, und auch sonst gibt es in Fjällbacka keine uns bekannten Gewaltakte an Kindern. Nichts dergleichen. Also nehme ich an, wir sollten als erstes mit der Familie reden«, sagte Patrik forschend.
Mellberg verstand sofort, worauf er aus war. Seinetwegen gern. Es hatte früher gut funktioniert, Hedström die Drecksarbeit machen zu lassen und sich dann selbst ins Scheinwerferlicht zu stellen, wenn alles geklärt war. Das war nichts, wofür man sich schämen mußte. Aufgaben zu delegieren war trotz allem der Schlüssel zu einer erfolgreichen Leitungstätigkeit.
»Ich habe den Eindruck, daß du diese Ermittlung übernehmen willst.«
»Ja, irgendwie habe ich ja schon damit begonnen. Martin und ich reagierten schließlich auf die Meldung, als sie gekommen war, und wir haben auch schon Kontakt mit der Familie und so gehabt.«
»Ja, das scheint eine gute Idee«, sagte Mellberg und nickte. »Sieh nur zu, mich auf dem laufenden zu halten.«
»Gut«, erwiderte Hedström und nickte ebenfalls, »dann legen Martin und ich jetzt los.«
»Martin?« fragte Mellberg hinterhältig. Er ärgerte sich noch immer über den respektlosen Ton in Patriks Stimme und sah jetzt eine Chance, ihn in die Schranken zu weisen. Manchmal führte Hedström sich auf, als sei er der Chef dieser Dienststelle, und das hier war eine ausgezeichnete Gelegenheit, ihm zu zeigen, wer hier das Sagen hatte.
»Nein, ich glaube, auf Martin kann ich im Moment nicht verzichten. Gestern habe ich ihn mit der Untersuchung einer Autodiebstahlserie beauftragt, vermutlich eine baltische Bande, die hier in der Gegend operiert, also denke ich, er hat alle Hände voll zu tun. Aber«, er zog das »Wort in die Länge und genoß es, Patriks gequältes Gesicht zu mustern, »Ernst hat im Augenblick nicht sonderlich viel zu tun, also wäre es angebracht, wenn ihr beide an dem Fall arbeitet.« Jetzt wand sich der Polizist vor ihm wie in Schmerzen, und Mellberg wußte, daß er den Finger genau auf die richtige Stelle gesetzt hatte. Er beschloß, die Qualen Hedströms ein wenig zu mildern. »Allerdings übertrage ich dir die Verantwortung für die Ermittlung, also Lundgren hat dir direkt Bericht zu erstatten.«
Auch wenn Mellberg in der Zusammenarbeit Ernst Lundgren als angenehmeren Kollegen betrachtete, war er nicht so dumm, gewisse Grenzen des Mannes zu übersehen. Es wäre unklug, sich selbst in die Beine zu schießen …
Kaum daß die Tür hinter Hedström ins Schloß gefallen
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