Die Töchter der Lagune
aufgewühlt zu haben, als Elissa gedacht hatte. Zumindest ihre Mutter. Diese schlug unentwegt die Hand vor den Mund, nur um sie kurz darauf wieder sinken zu lassen und nervös ein Tüchlein zwischen den Fingern zu kneten. Als ein Ruf über das Wasser scholl, kehrte Elissas Blick zurück zu der gewaltigen Karavelle vor ihnen. Salzige Seeluft stieg ihr in die Nase, und sie konnte winzige Seeleute an Deck des schnellen Schiffes hin und her eilen sehen. „Oh, Maria.“ Sie drehte sich auf der harten Bank um und blickte ihrer Zofe in die Augen, deren graues Haar sich im starken Wind langsam, aber sicher aus der kleinen Haube, die sie trug, befreite. „Sieh nur, wie groß es ist!“ Sie konnte kaum still sitzen. Als sie sich dem hölzernen Riesen näherten, entdeckte sie Luken in der Bordwand des Schiffes, durch die schwarze Mäuler von Kanonenmündungen glotzten. „Es sieht überhaupt nicht wie eine von unseren Galeeren aus!“, rief sie aus. Anders als die venezianischen Kriegsgaleeren, die sie kannte, war das Schiff wesentlich größer und wirkte nicht so schlank und wendig. Als ihre Gondola nach einer scheinbaren Ewigkeit endlich die Backbordseite der Karavelle erreichte, streckte ihr einer der männlichen Bediensteten hilfreich die Hand entgegen. Ihr Vater und ihre Mutter waren bereits an Bord, und Elissa holte tief Atem, bevor sie die unterste Sprosse der Strickleiter ergriff, die sie hinauftragen würde in das erste Abenteuer ihres Lebens. Der Aufstieg war allerdings verzwickter, als sie es sich vorgestellt hatte. Zwar schwankte das Schiff nur leicht in der ruhigen See, aber auf halbem Wege fühlte sie, wie die Kraft sie verließ und ihre Beine anfingen zu zittern. Sie hielt einen Moment lang inne und wartete, bis sich ihr Herzschlag ein wenig beruhigt hatte, ehe sie den Anstieg wieder aufnahm. Als sie die Reling schon beinahe erreicht hatte, glitt ihr Fuß jedoch auf einer der schlüpfrigen Sprossen aus. Mit einem Schreckensschrei umklammerte sie mit beiden Händen die Strickleiter und verhinderte so um Haaresbreite einen Sturz in die grünen Wassermassen tief unter ihrem hin und her schwingenden Körper. Während sie noch hilflos hin und her baumelte, alle Glieder vor Angst wie gelähmt, griffen starke Hände nach ihren Armen und sie wurde an Bord gehievt. „Elissa!“, keuchte ihre Mutter erleichtert und riss sie dem jungen Seemann, der sie gerettet hatte, aus den Händen. Mit bebendem Busen presste sie ihr Kind an sich, strich ihr über die Locken und flüsterte beruhigende Worte in das Ohr ihrer immer noch zitternden Tochter. Während um sie herum Kisten und Säcke verstaut wurden, verflog Elissas Schrecken allmählich, und schließlich machte sie sich von ihrer Mutter los, um sich umzublicken und all die neuen Eindrücke in sich aufzunehmen.
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Venedig, Signor Brabantios Casa, Dezember 1570
Angelina beobachtete ihre Schwester voller Neugier. Sie waren im Speisezimmer ihres Palazzos versammelt, der lange Tisch, an dem sie saßen, überladen mit köstlich duftenden Speisen in goldenen und silbernen Schüsseln. Direkt vor ihr verbreitete eine Platte mit dampfendem Hasen in Rosmarin ein verführerisches Aroma. Weitere verzierte Silberschalen waren mit Fasan, Ente und Hühnchen gefüllt, das Letztere in einer dicken, goldbraunen Teigkruste. Die Diener kümmerten sich zuerst um die Männer, die sich den ganzen Nachmittag im Arbeitszimmer ihres Vaters eingeschlossen hatten, und so hatte sie Zeit, Desdemona genau zu betrachten. Sie saß Christoforo Moro gegenüber, und ihr Gesicht wurde vom Licht des Murano Kronleuchters erhellt. Dieses prunkvolle Stück Glasbläserkunst brach das Licht seiner Kerzen auf so raffinierte Art und Weise, dass der Effekt atemberaubend war. Kleine blaue, grüne und orangefarbene Lichtflecken tanzten über die Züge ihrer Schwester, wodurch sie überirdisch schön wirkte. Dem Gast des Hauses waren diese Lichteffekte ebenfalls aufgefallen, und er starrte Desdemona auf gänzlich unvornehme Art und Weise an, bis sie den Kopf hob. Ertappt wollte er zuerst den Blick abwenden, schien dann aber einzusehen, wie töricht dies gewirkt hätte, und öffnete die Lippen zu einem verlegenen Lächeln, das ihn mit einem Mal jungenhaft wirken ließ.
Desdemona, deren Gesicht vor Scham eine tiefrote Farbe angenommen hatte, war offenbar froh, von einem der Bediensteten abgelenkt zu werden, der süßen Wein in ihren Kelch goss. Nachdem ihr Teller mit allerlei Köstlichkeiten gefüllt
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