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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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und warf sich vor dem osmanischen Herrscher zu Boden, um der kleinen Abordnung den Weg aus dem geräumigen Zelt zu versperren. Die blauen Augen mit den langen Wimpern flehten um die Erlaubnis, zu sprechen. Zuerst dachte sie, Selim würde sie in die Seite treten und einfach um sie herumgehen. Sie spannte die Muskeln, um den Tritt abzufangen, doch er schien es sich mitten in der Bewegung anders zu überlegen. „Nun, denn“, höhnte er. „Versuch, den Hals deiner kleinen Gefährtin zu retten. Ich bin wirklich neugierig, was für Lügen du mir auftischen wirst.“ Mit einer herrischen Handbewegung hielt er die erbarmungslosen Soldaten zurück, die den brutalen Griff um Neslihans Oberarme jedoch um keinen Deut lockerten.
     
    „Es war einzig und allein meine Schuld, Sonne des Ostens“, unterbrach eine tiefe, sonore Stimme aus den Schatten des Zelteingangs Elissa, ehe sie Atem holen konnte. Die Gestalt, die sich aus der tintigen Schwärze der Nacht löste und in den tanzenden Schein der Fackeln trat, verbeugte sich tief, wobei sie Brust, Mund und Stirn mit den Fingerspitzen der Rechten streifte. „Mustafa!“, rief Selim überrascht aus. Der Aga blickte auf das Mädchen, auf dessen Miene Todesangst und Hoffnung miteinander rangen. „Ich habe den Soldaten befohlen, den Venezianer in das Zelt der Frauen zu bringen, damit sie sich um ihn kümmern können, bis der Hekim aus der Schlacht zurückkehrt.“ Er hob kaum wahrnehmbar die Schultern. „Wenn Ihr jemanden bestrafen wollt, dann bestraft mich.“ Elissa traute kaum ihren Ohren. Hatte er das wirklich gesagt? Selim schien ebenfalls verwirrt. Sein Oberbefehlshaber hatte ihn soeben in eine unmögliche Lage manövriert. Der hinterlistige Bastard wusste genau, dass der Sultan sich hüten würde, seinen Ärger an dem einzigen Mann auszulassen, von dem in diesem verfluchten Feldzug alles abhing.
     
    Nach einem peinlich langen Augenblick des Schweigens, das lediglich von Neslihans gequältem Atmen unterbrochen wurde, machte Selim schließlich gute Miene zum bösen Spiel. Er lachte leise – ein tiefes, kehliges Lachen, das seltsam freudlos wirkte. „Nun, ich nehme an, dann handelt es sich um ein Missverständnis“, stellte er tonlos fest. „Lasst sie gehen!“ Der Befehl kam widerwillig, doch er war die einzige Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren. „In diesem Fall könnt Ihr damit beginnen, die Gefangenen zu verhören!“ Ein grausames Lächeln spielte um seinen Mund. „Und sorgt dafür, dass Ihr alle Informationen bekommt, die wir benötigen, Mustafa.“
     
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Zypern, Famagusta 22. Juni 1571
     
    Die vier Männer waren aufgegriffen worden, als sie versucht hatten, sich über die nördliche Stadtmauer davonzustehlen. Sie waren unter Schimpfkanonaden mit Stöcken durch die staubigen Straßen getrieben worden und hatten verzweifelt versucht, ihre Gesichter und Lendengegenden vor den Steinen zu schützen, welche die erzürnten Einwohner Famagustas nach ihnen warfen. Nach einem kurzen und formlosen Kriegsgericht hatte der Provveditore kurzerhand die allgemein geforderte Todesstrafe in eine pragmatischere, wenn auch weitaus grausamere Bestrafung umgewandelt. Marcantonio Bragadin, der Luogotenente , hatte schwach protestiert, doch Christoforo Moro hatte darauf hingewiesen, dass sie es sich nicht leisten konnten, ihre eigenen Männer zu töten. Allerdings mussten die Folgen einer Fahnenflucht so abschreckend sein, dass in Zukunft keiner der Männer diesen Schritt auch nur in Betracht ziehen würde.
     
    Daher waren auf dem Platz vor St. Georg vier Pranger errichtet worden, die eine beinahe perfekte Linie bildeten. Die schnell zusammengezimmerten, mit Scharnieren versehenen Holzbretter schlossen die Köpfe und Handgelenke der Gefangenen ein und lieferten somit den Rest ihrer entblößten Körper dem Zorn der Menge aus, die aus allen Richtungen zusammenströmte. Da die Männer auf einer hölzernen Plattform an die Schandpfähle gekettet waren, war es der Meute ein Leichtes, mit verfaultem Gemüse, toten Ratten und sogar Steinen auf die Köpfe der Fahnenflüchtigen zu zielen. Gelegentlich erklomm sogar ein besonders erzürnter Bürger das Gerüst, um mit einem Ledergürtel oder einer Rute auf die ohnehin schon blutigen Rücken der Elenden einzuprügeln. Um die Dinge noch schlimmer zu machen, hatte Christoforo einem grimmig dreinblickenden Soldaten befohlen, die linken Ohren der Männer abzuschneiden und sie neben ihren Köpfen an die Pfähle zu nageln. „Vielleicht

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