Die Töchter der Lagune
Widerspruch zuließ, und hob beschwichtigend die Hände. „Beide Seiten! Dies ist nicht die richtige Zeit, um Kämpfe auszutragen!“ Er wandte sich seinem Schwiegervater zu, dessen Kapuze ihm in der Hitze des Gefechts vom grauen Haupt geglitten war. Mit Mühe unterdrückte er das Mitleid für den gebrochenen, alten Mann, das sich in sein Bewusstsein stahl, als sein Blick auf das von Schmerz gezeichnete Gesicht des Senators fiel. „Wo soll ich mich Eurer Anklage stellen?“, fragte er Brabantio, der augenblicklich zischte: „Im Gefängnis! Um dort bis zum Tag Eures Prozesses zu verrotten!“ Christoforo Moro nickte bedächtig. „Was, wenn ich gehorche? Diese Männer sind Abgesandte des Dogen. “ Er wies auf Cassio und die anderen Soldaten, die ihre Widersacher mit nur mühsam gezügelter Kampfeslust anstarrten. „Er hat den Rat einberufen und nach mir geschickt. Ich werde mich von Euch dorthin eskortieren lassen, sodass er in dieser Sache ein Urteil fällen kann.“ Cassio trat vor und nickte. „Es ist wahr, Signore , der Doge hat den Senat einberufen, und ich bin sicher, dass auch Männer zu Eurem Palazzo geschickt worden sind, um Euch von dem Treffen in Kenntnis zu setzen.“ Brabantio kämpfte um Haltung. Irgendwie war ihm die Kontrolle der Situation aus den Händen geglitten. „Der Doge in einer Sitzung? Um diese Zeit?“ Er schüttelte den Kopf, als ob er den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung anzweifelte. Doch auf der anderen Seite wäre es doch ein kühnes Husarenstück, selbst für den General, all dies inszeniert zu haben. Er rammte sein Schwert zurück in die Scheide und knurrte barsch: „Dann lasst uns dorthin gehen. Das hier ist kein Kavaliersdelikt mehr! Ich zweifele nicht daran, dass der Doge und meine Senatskollegen das Unrecht beinahe so stark empfinden werden, als ob es ihr eigenes wäre.“ Er runzelte die faltige Stirn. „Wenn so etwas straflos bleibt, dann werden bald Sklaven und Heiden unsere Staatsmänner stellen!“
Kapitel 12
Smyrna, ein Sklavenmarkt, 24. Dezember 1570
Elissa war wie gelähmt vor Ekel. Nachdem sie rüde vom Deck des Korsarenschiffes gezerrt worden war, wurde sie durch überfüllte, staubige Straßen gestoßen, die von Männern in farbenfrohen Gewändern nur so wimmelten. Das empörte Schreien von Eseln, die von schmutzigen Kindern erbarmungslos durch das Getümmel getrieben wurden, übertönte das Gebrüll der zahllosen Händler, welche die unterschiedlichsten Waren auf dem scheinbar endlosen Marktplatz feilboten. Der Mann, der sie aus den Klauen ihres Bedrängers befreit hatte, stolzierte vor ihr, und sein prächtiges Krummschwert funkelte im Licht der grellen Sonne, als sie den Teil des Marktes passierten, auf dem die Sklaven angeboten wurden. Elissa wurde von zwei hochgewachsenen Türken flankiert, von denen jeder einen ihrer nackten Oberarme gepackt hielt. Man hatte sie gezwungen, ein weiteres der durchsichtigen Kleider aus der Truhe anzulegen, und sie konnte die lüsternen Blicke der Händler förmlich auf ihrem Körper spüren. Als sie an einem der hölzernen Verschläge vorbeikamen, brach eine Frau in einem zerschlissenen Kleid in lautstarkes Gezeter aus. Der Turbantragende, der sie erstehen wollte, schlug ihr brutal ins Gesicht, da sie ihn gebissen hatte, als er versuchte, ihr die Kiefer auseinander zu zwingen, um ihre Zahnreihen zu untersuchen. Während er leise in derselben Sprache, die Elissas Entführer sprachen, vor sich hin fluchte, löste der Käufer eine kurze, fingerdicke Peitsche von seinem Gürtel und begann, auf die Frau einzuschlagen. Diese warf sich zu Boden und versuchte, ihren Kopf vor den Schlägen zu schützen. Mit einer schrillen Schimpfkanonade ging der Sklavenhändler dazwischen, um seine noch nicht bezahlte Ware vor Schaden zu bewahren.
Der Kapitän verlangsamte seine Schritte, wandte sich zu Elissa um und bedachte sie mit einem warnenden Blick. „Das geschieht mit dir, wenn du deinem Herrn nicht gehorchst“, informierte er sie in seinem schauderhaften Italienisch. Ihr Herz erstarrte vor Entsetzen. Mit aller Macht hatte sie versucht, die Wahrheit zu verdrängen, doch jetzt musste sie sich eingestehen, dass sie es gewusst hatte – seit sie die feinen Kleider in der Kirschholztruhe entdeckt hatte – dass die Piraten sie an einen Ungläubigen verkaufen wollten. Sie stöhnte und versuchte, sich aus dem harten Griff ihrer Wächter zu befreien. Als der Kapitän sah, was sie vorhatte, trat er näher und hob die Hand. Elissa
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