Die Töchter der Lagune
Mann, der sich an dem drohend zischenden Kohlebecken zu schaffen machte. „Es tut mir leid“, sagte die junge Frau tonlos. Sie war neben Elissa in die Hocke gegangen und tätschelte ihre Hand. „Wir haben alle das Brandmal. Es weist uns als Eigentum des Sultans aus.“ Mit einer flinken Bewegung hob sie den Rock ihres Kaftans an und enthüllte einen dunkelblauen Sichelmond auf ihrer rechten Hinterbacke. Er sah beinahe schön aus. „Hier, nimm das.“ Sie steckte Elissa ein Beißholz zwischen die Zähne. „Ich werde dich jetzt allein lassen.“ Sie erhob sich und nickte den beiden anderen Männern zu, die daraufhin wieder näher an die Liege herantraten und sich neben Elissas Kopf und Füßen postierten. „Ich bin bald zurück.“ Mit diesen Worten wandte sich die Frau um und verließ den Raum in demselben Augenblick, als der dritte Mann mit der weiß glühenden Stange in den Händen im Blickfeld der Gefangenen erschien.
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Zypern, vor der Zitadelle, Januar 1571
Der Angreifer hatte Cassio hinter einer zum inneren Befestigungsring gehörenden Mauer aufgelauert. Er sprang aus den dunklen Schatten der hohen Steinumwallung und brüllte: „Kommt her, Ihr Feigling. Beweist, dass Ihr nicht betrunken seid!“ Sein Rapier war gebleckt und glänzte im Licht des Mondes, der wie eine zu groß geratene Sichel am Firmament schwamm. Cassio reagierte innerhalb des Bruchteils einer Sekunde, wobei seine harte Kampfausbildung die beschwipste Benommenheit mit einem Schlag verdrängte. Aus dem Augenwinkel nahm er mehrere dunkle Gestalten wahr, die durch die Nacht huschten, doch sie bewegten sich von ihm weg, stellten also keine Gefahr für ihn dar. Es handelte sich vermutlich einfach um erschreckte Stadtbewohner, die noch wach waren, um die Ankunft des Generals und den „Sieg“ über die türkische Flotte zu feiern. Blitzschnell zog er die eigene Waffe und ging in Verteidigungsstellung.
„Wer seid Ihr?“, zischte er, erstaunt über den undeutlichen Klang seiner eigenen Worte. „Betrachtet mich als Test Eurer Gewandtheit“, höhnte Rodrigo, der sich aufgrund der Menge schweren Weines, den Cassio gebechert hatte, sicher wähnte. „Kommt, Signore !“ Herausfordernd tänzelte er leichtfüßig um sein Opfer, wobei sein Rapier vorschoss, um die Reflexe des anderen zu testen. Cassio, dessen Reaktionsvermögen getrübt war, spürte ungezähmte Wut in sich aufsteigen. Ein unüberwindbarer Schwertkämpfer – wenn nüchtern – fühlte er nun den heißen Stich der Klinge des Angreifers auf seinem Unterarm, der sofort zu bluten anfing. Sein Verstand verdunkelte sich, als Zorn und blinder Hass durch seine Adern schossen und sein Instinkt alles andere auslöschte. Mit einem heiseren Wutschrei stürzte er sich auf seinen Gegner, den die Gewalt des Angriffes überraschte. Um ein Haar wäre diesem der Degen entglitten, der unter der Wucht des Aufpralls protestierte. Als er seine Fehleinschätzung der Lage erkannte, stolperte Rodrigo in einem fruchtlosen Versuch, der tödlichen Waffe des Oberstleutnants zu entgehen, nach hinten. „Verflucht!“, murmelte er und zog sich weiter in Richtung Hof zurück, während Cassio ihm immer ärger zusetzte. „Gut genug für dich, Bastardo ?“, rief er und trieb den inzwischen kopflosen Rodrigo auf die Stufen zu, die in den Innenhof der Zitadelle führten. „Ich werde dich lehren, einen Offizier der Republik anzugreifen!“ Mit von Kampfeslust und Wein geröteten Wangen zwang Cassio den Gegner, der bereits aus mehreren oberflächlichen Wunden blutete, die Treppen hinauf. Seine Hiebe prasselten immer schneller und härter auf den rasch schwächer werdenden Feind nieder. Als sie beinahe den obersten Absatz erreicht hatten, strauchelte Rodrigo und schlug auf dem staubigen Boden auf. Trockener Schmutz wirbelte auf, als er mit dem Hinterteil zuerst auf dem harten Sandstein landete. Er hatte im Fall den Degen verloren, der nun harmlos einige Schritte zu seiner Rechten im Staub lag. Erschrocken hob Rodrigo die Hände, um sein Gesicht zu schützen, als Cassio, der wie ein Racheengel über ihm aufragte, das Schwert hob, als wolle er den Entwaffneten erschlagen.
In der Zwischenzeit hatten das Klirren der Waffen und die erzürnten Stimmen der Kampfhähne eine Menge von Gaffern aus den nahe liegenden Häusern gelockt. Die meisten von ihnen lebten in heruntergekommenen, angebauten Hütten, die sich im Schatten der dicken Mauer versteckten. Beunruhigt von dem plötzlichen Gewaltausbruch
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