Die Töchter der Lagune
Kammer noch einmal verlassen hatte, kam mit einem eisernen Kohlebecken und einem Arm voll dunkelgelber Bienenwachsplatten zurück. Elissa folgte ihren Bewegungen mit vor Furcht weiten Augen. „Zieh dich aus“, wies die Frau in dem kirschroten Gewand sie an. „Was?“, fragte Elissa ungläubig. „Leg die Kleider ab“, wiederholte die Dame geduldig. Elissa schüttelte den Kopf und schielte in Richtung des Mannes. Das Harems mitglied folgte ihrem Blick und lachte leise. „Du brauchst dir keine Sorgen machen“, beruhigte sie das entsetzte Mädchen. „Er ist kein richtiger Mann!“ Elissa starrte sie verwirrt an. „Wie meinst du das?“, erkundigte sie sich voller Neugier –entgegen aller Furcht. „Er ist ein Eunuch“, erwiderte die Frau. Elissa runzelte die Stirn. „Was ist ein Eunuch?“, wollte sie schließlich wissen. Sie hatte den Ausdruck schon vorher gehört. Neslihan hatte Halil einen Eunuchen genannt, doch Elissa hatte angenommen, es handle sich hierbei um eine Art Titel oder Rang. Mit einem breiten Grinsen gab sie dem Mann ein Zeichen und sagte etwas in ihrer eigenen Sprache. Er folgte dem Befehl und löste sein Lendentuch, bevor er sich – völlig nackt – zu Elissa umwandte. Dort wo sein Geschlecht hätte sein sollen, prangte ein kurzer, vernarbter Stumpf. „Er ist kastriert, so wie alle Männer, die im Harem arbeiten“, informierte sie die kirschrote Helferin.
Elissa fühlte sich schwindelig. Sie hatten dem Mann das Geschlecht entfernt! Schwach vor Entsetzen ließ sie sich auf die Bank hinter sich fallen und griff sich zittrig an den Kopf. Wenn sie Menschen so etwas antaten, was würde dieser Palast dann wohl für sie bereithalten? Wie betäubt ließ sie eine der Frauen ihr Haar lösen und das Kleid aufschnüren. „Komm“, wiederholte ihre Helferin und winkte einladend. Als Elissa keine Reaktion zeigte, nahm die Dunkelhaarige sie bei der Hand und führte sie mit sanfter Gewalt auf die Springbrunnen zu, die an der gegenüberliegenden Wand aufgereiht waren. Nachdem sie Elissa mit einer duftenden Flüssigkeit eingeseift hatten, rieben die Frauen sie mit riesigen, weichen Tüchern trocken. Und als ihre Haut so feurig rot war wie die eines Hummers, geleiteten sie Elissa zu einem Diwan, der von dem Eunuchen hereingebracht worden war. Während zwei der Harems damen damit beschäftigt waren, das neue Mitglied des königlichen Haushaltes zu säubern, hatte die dritte in einer großen Schale das Bienenwachs über den Flammen des Feuers erhitzt, das in dem Kohlebecken tanzte. „Leg dich hin“, forderte sie Elissa auf. Immer noch wie im Traum gehorchte Elissa und streckte sich auf der mit Tüchern abgedeckten Liege aus. „Es wird ein wenig weh tun“, warnte die untersetzte Dame, die einen dicken Pinsel in das heiße Wachs tauchte und damit begann, die heiße Flüssigkeit auf Elissas Beine, Arme und ihren Schambereich zu streichen. Elissa, die einen stechenden Schmerz erwartet hatte, war überrascht, da sie das Gefühl eher als angenehm empfand, obgleich das geschmolzene Wachs recht heiß auf ihrer kühlen Haut lag. Als sie beinahe ihren gesamten Körper mit dem gelben, süßlich duftenden Bienenwachs bestrichen hatte, verkündete die Frau: „Es muss erst trocknen, bevor wir es abziehen können.“ Abziehen? Langsam dämmerte es Elissa, dass das Ziel dieser Prozedur war, sie von ihrer Körperbehaarung zu befreien. Ihr war aufgefallen, dass die Osmanen eine andere Einstellung zur Sauberkeit zu haben schienen als ihre eigenen Landsleute. An Bord des Schiffes war Neslihan wie besessen davon gewesen, sich jeden Morgen zu waschen.
Während sie darauf wartete, dass die dünne Wachsschicht trocknete, beobachtete Elissa unter halb geschlossenen Lidern ihre Umgebung. Die blauen Boden- und Wandkacheln der Kammer schienen kostbar. Und die Vorhänge, welche die beiden Eingangstüren verdeckten, waren mit edlen Goldfäden durchwirkt. Die stilisierten, aufgestickten Blumen leuchteten im Licht der Sonne, das durch eine prächtige Glaskuppel in den Raum strömte. „Es ist trocken.“ Die Berührung der kleinen, kräftigen Hand wurde durch die dünne Schicht klebrigen Wachses auf ihrer Haut gedämpft. „Entspanne dich, dann tut es nicht so weh“, riet die Frau, ehe sie energisch an einer Ecke der Wachsschicht über Elissas rechtem Knöchel zog. Die klebrige Substanz löste sich in einem langen Streifen, und bevor Elissa sich beherrschen konnte, entwich ihr ein empörter Schmerzensschrei. „Heilige
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