Die Töchter der Lagune
1571
Angelina kauerte auf der Fensterbank und starrte empor zu dem verschwommenen Sichelmond. Die Szene, deren Zeuge sie und ihre Schwester soeben geworden waren, hielt ihre Gedanken davon ab, Ruhe zu finden. Sie hatte von Anfang an Bedenken gehabt, als Desdemona ihr den Plan offenbart hatte, Christoforo heiraten zu wollen. Doch die Liebe, die sie in den Augen der beiden Innamorati hatte lesen können, hatte die Sorge zunichte gemacht, dass ihre geliebte Schwester einen schicksalsschweren Fehler beging. Nun allerdings, da sie das wahre Gesicht des Generals gesehen hatte, war sie beunruhigt. Einen winzigen Moment lang hatte der mächtige Soldat seine zivilisierte Maske fallen lassen und die Gnadenlosigkeit gezeigt, die darunter verborgen lag. Sie hoffte inständig, dass ihre Schwester niemals den Zorn eines solch furchtbaren Feindes auf sich ziehen würde.
Mit einem Seufzen erhob sie sich von dem breiten Sims und gähnte, wobei sie in der kalten Nachtluft zitterte. Armer Francesco! Er musste die ganze Nacht dort draußen in der Kälte verbringen – ohne den Trost eines warmen Feuers oder einer flauschigen Decke. Übermorgen war seine erste dienstfreie Nacht, und sie würde dafür sorgen, dass er sie nicht in dem schrecklichen Militärquartier zubringen musste, das er sich mit seinen betrunkenen Kameraden teilte!
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Konstantinopel, Topkapi Palast, Januar 1571
Als die Tür hinter Gümüs ins Schloss fiel, schluckte Elissa schwer. Was würde als Nächstes geschehen? Die geräumige Kammer, in die man sie geleitet hatte, lag am Ende eines langen Ganges. Sie wurde von Vorhängen, die dem Sonnenlicht einen warmen Orangeton verliehen, verdunkelt und war mit einem großen Bett, einem einladend wirkenden Diwan und drei Holztruhen recht gut möbliert. In einer kleinen angrenzenden Kammer befand sich ein kunstvoll gearbeiteter Marmorabort. In einer Ecke unter einer Reihe hoher Bogenfenster, die mit umrankten Eisenstäben vergittert waren, versteckte sich ein riesiger Spiegel in einem Goldrahmen. Es war ein Gefängnis – ein luxuriöses Gefängnis, aber dennoch ein Gefängnis.
Sie hatte gerade den Deckel einer der schweren Kirschholztruhen zurückgeschlagen und wühlte in ihrem Inhalt, als sich die Tür ihrer Kammer öffnete und Halil den kahlen Kopf durch den Rahmen steckte. „Ah, du fühlst dich schon zu Hause“, bemerkte er trocken und zwängte seinen fetten Körper durch die Öffnung. „Dein Gebieter wünscht, dich zu sehen.“ Elissa zuckte unmerklich zusammen, als sich ihr Magen bei diesen Worten schmerzhaft zusammenzog. Instinktiv huschte ihr Blick durch den Raum, als sie nach einem Fluchtweg Ausschau hielt. Doch der ohnehin schon schwache Hoffnungsschimmer erlosch, als sie die beiden Wächter hinter Halils breitem Rücken erspähte. „Jetzt.“ Die Hand des Eunuchen schoss vor, und er packte sie kurz über dem Handgelenk. „Es nützt dir nichts, wenn du dich wehrst“, belehrte er sie ruhig, als sie versuchte, Widerstand zu leisten. „Tu, was man dir befiehlt, wenn du am Leben bleiben willst.“ Seine Stimme hatte einen drohenden Unterton angenommen, und sein Blick wanderte zu den beiden bewaffneten Männern. Ihre Köpfe wurden von großen, weißen Turbanen halb verborgen, und ihre Gesichter waren vollkommen unbehaart. Ihre Augen jedoch glänzten hart und mitleidslos wie Feuerstein.
Halil schob Elissa in den leeren Gang hinaus – vorbei an zahllosen Türen und Vorhöfen – bis sie schließlich im Herzen des Harems anlangten. Sie folgten einem prächtigen Peristyl – einem Säulengang – der einen Garten umgab, in dem Vögel in goldenen Käfigen heiter-melancholische Melodien trällerten. Schließlich kam die kleine Abordnung vor einer großen Tür im Schatten der palmenförmigen Säulen zum Halten. In ihrem Rücken tanzte ein Wasserstrahl in einem marmornen Brunnenbecken, dessen Tropfen das Sonnenlicht mit atemberaubender Schönheit brachen und zurückwarfen. „Wenn wir den Raum betreten, wirfst du dich vor dem Beherrscher der Gläubigen zu Boden“, befahl Halil. „Rühr dich nicht von der Stelle oder hebe den Blick, bevor er es dir nicht ausdrücklich gestattet!“ Elissa nickte und versuchte, das Zittern, das durch ihren Körper lief, zu unterdrücken.
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Sie kniete immer noch auf dem Boden, während ihre Stirn die kalten Fliesen berührte. Es war ihr nicht gelungen, die Gestalt, die sich aus dem Halbdunkel eines riesigen, überdachten Diwans gelöst
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