Die Tore Der Finsternis
dachte an Cafferty und die wundersame Heilung seines Krebsleidens. Cafferty behauptete, er sei immer noch in Behandlung, allerdings privat. Rebus wusste, dass es gelogen war.
In aller Herrgottsfrühe hatte jemand an seine Tür geklopft und ihn aufgeweckt. Die Neuigkeiten über Donny Dow waren auch nach Tulliallan gedrungen. Rebus hatte nach seinem Handy gegriffen und es zuerst bei Siobhan zu Hause, dann auf ihrem Handy versucht. Da sie seine Nummer kannte, hatte sie das Gespräch angenommen.
»Wie geht’s Ihnen?«, hatte er gefragt.
»Bin ein bisschen müde.«
»Nicht verletzt?«
»Kein einziger blauer Fleck zu vermelden.« Die Antwort besagte nicht, ob sie nicht andere Wunden davongetragen hatte.
»Die riskanten Einsätze sind doch meine Angelegenheit«, hatte er sie in aufmunterndem Tonfall gescholten.
»Sie waren aber nicht da«, hatte sie erwidert und dann das Gespräch beendet.
Rebus blickte aus dem Beifahrerfenster. Die Straßen von Glasgow sahen für ihn alle gleich aus. »Ich verfahre mich hier immer«, gestand er Gray.
»Mir passiert das Gleiche in Edinburgh: diese furchtbar engen Straßen, und andauernd geht’s um die Ecke.«
»Die vielen Einbahnstraßen hier treiben mich jedes Mal in den Wahnsinn.«
»Wenn man sich auskennt, ist es ganz einfach.«
»Stammst du aus Glasgow, Francis?«
»Das Kohlerevier in Lancashire, da komme ich her.«
»Ich aus dem Kohlerevier in Fife«, sagte Rebus und lächelte, um die neu entdeckte Gemeinsamkeit zu betonen.
Gray nickte. Er konzentrierte sich auf das, was jenseits der
Windschutzscheibe passierte. »Jazz meinte, du wolltest etwas mit mir bereden«, sagte er.
»Ich weiß nicht so recht«, zögerte Rebus. »Hast du mich deswegen mitgenommen?«
»Vielleicht.« Gray schwieg, schien die Umgebung zu betrachten. »Wenn du mir was sagen willst, solltest du dich beeilen. In fünf Minuten sind wir da.«
»Vielleicht nachher«, meinte Rebus. Er hat angebissen, John. Jetzt lass ihn noch ein bisschen zappeln.
Gray zuckte mit den Achseln, als sei ihm die Sache völlig gleichgültig.
Das Krankenhaus, ein hohes, modernes Gebäude im Norden der Stadt, wirkte mit seinen verwitterten Mauern und beschlagenen Fenstern irgendwie kränklich. Der Parkplatz war besetzt, aber Gray hielt auf einem reservierten Stellplatz und legte eine Karte hinter die Windschutzscheibe, auf der »Arzt im Notdienst« stand.
»Funktioniert das?«, fragte Rebus.
»Manchmal.«
»Warum keine Polizeiabzeichen?«
»Ich bitte dich, John. Wenn die Leute hier in der Gegend ein Polizeiauto sehen, kann es passieren, dass sie es mit einem Pflasterstein taufen.«
Die Aufnahme befand sich neben der Ambulanz. Gray stellte sich in die Schlange, um zu erfragen, auf welcher Station Chib Kelly lag, während Rebus sich die Versammlung der Leichtverwundeten ansah. Verletzungen und Prellungen; Obdachlose, die ihre Habe in einer Plastiktüte mit sich führten; traurig dreinschauende Normalbürger, die dieses Erlebnis so schnell wie möglich vergessen wollten. Halbwüchsige Jungen liefen in Gruppen herum. Sie schienen sich alle zu kennen und schlenderten mit Angebermiene durch die Gänge. Rebus sah auf die Uhr: zehn Uhr morgens an einem Werktag.
»Stell dir mal vor, wie das hier Samstagnacht aussieht«,
sagte Gray, der wohl geahnt hatte, was Rebus gerade dachte. »Chib liegt im dritten Stock. Da hinten ist der Fahrstuhl.«
Vom Fahrstuhl aus gelangte man direkt in einen Wartebereich, und die erste Person, die Rebus erblickte, kannte er von den Fotos aus ihren Akten: Fenella, Rico Lomax’Witwe.
Sie wusste sofort, dass die beiden Polizisten waren, und sprang auf. »Sagen Sie denen da drin, dass ich ihn sehen will!«, verlangte sie. »Ich habe das Recht dazu!«
Gray legte einen Finger auf die Lippen. »Sie haben das Recht, still zu sein«, entgegnete er. »Benehmen Sie sich, und wir werden sehen, was sich machen lässt.«
»Was wollen Sie hier überhaupt? Mein Mann hatte einen Herzinfarkt.«
»Wir haben gehört, es war ein Schlaganfall.«
Sie fing wieder an zu jammern. »Woher soll ich wissen, was er hat? Mir sagt ja niemand etwas!«
»Wir werden es schon herausfinden«, beschwichtigte sie Gray. »Geben Sie uns fünf Minuten, ja?« Er legte die Hände auf ihre Schultern und drückte sie sanft zurück auf den Stuhl.
Eine Schwester schaute durch ein schmales Fenster in den Doppeltüren, die zur Station führten. Als die beiden auf sie zugingen, öffnete sie ihnen die Tür.
»Wir wollten sie schon
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