Die Tore der Welt
und lachten. Sam legte seine Arbeit nieder und kam näher. Mutter und Sohn
setzten sich in der Ecke neben der Treppe, die nach oben führte, auf eine Bank.
»Ich verlebe eine wunderbare Zeit«, sagte Sam. »Hier spielt jeder fast immer
ein Spiel. Wir jagen, wir betreiben fauconnerie, wir halten Wettstreite im Ringen
und in equitation ab, und wir spielen Fußball. Ich habe so viel gelernt! Es ist
ein wenig peinlich, die ganze Zeit mit Halbwüchsigen üben zu müssen, aber das
kann ich ertragen. Ich muss noch lernen, ein Schwert und einen Schild zu
führen, während ich gleichzeitig ein Pferd lenke.«
Er sprach schon
anders, bemerkte sie. Er verlor den gemächlichen Rhythmus der Sprache, wie sie
auf dem Dorf üblich war, und er benutzte französische Wörter für Falknerei und
Reitkunst. Er gewöhnte sich schon an das Leben als Edelmann.
»Und Arbeit?«,
fragte sie. »Es kann doch nicht alles nur Vergnügen sein.« »Ja, Arbeit gibt es
viel.« Er wies auf die anderen Rüstungsreiniger. »Aber im Vergleich mit Pflügen
und Eggen ist es leicht.« Sam fragte nach seinem Bruder, und sie berichtete ihm
die Neuigkeiten von zu Hause: dass Daveys Färberkrapp nachgewachsen war; dass
sie die Wurzeln ausgegraben hatten; dass Davey noch immer nicht von Amabel
ließ; dass in Wigleigh noch niemand an der Pest erkrankt war. Während sie
redeten, beschlich Gwenda das Gefühl, beobachtet zu werden, und sie wusste,
dass sie es sich nicht nur einbildete. Nach einem Augenblick sah sie sich über
die Schulter.
Graf Ralph stand am
oberen Ende der Treppe vor einer offenen Tür; offenbar war er aus seinem Gemach
getreten. Sie fragte sich, wie lange er sie betrachtet hatte. Gwenda sah ihm in
die Augen. Durchdringend starrte er zurück, doch sie konnte seinen Blick nicht
deuten, begriff nicht, was er ausdrückte. Sie gewann den Eindruck, dass er
unangenehm zudringlich war, und sah weg. Als sie wieder hinschaute, war Ralph
fort.
Am nächsten Tag,
als Gwenda den Heimweg halb hinter sich hatte, kam von hinten ein Reiter in
schnellem Galopp die Straße entlang. Er zügelte sein Tier und blieb neben ihr
stehen.
Ihre Hand fiel an den langen Dolch in ihrem
Gürtel.
Der Reiter war Sir
Alan Fernhill. »Der Graf will dich sprechen«, sagte er.
»Dann wäre er
besser selbst gekommen, als Euch zu schicken«, entgegnete Gwenda.
»Du hast immer eine
freche Antwort parat, was? Glaubst du, damit machst du dir Höhergestellte
zugeneigt?«
Er hatte recht. Sie
war verblüfft, und das lag vielleicht daran, dass Alan in all den Jahren, in
denen er schon Ralphs Schatten war, in ihrem Beisein kein einziges Mal etwas
Kluges gesagt hatte. Wenn sie wirklich schlau wäre, würde sie Leuten wie Alan
schmeicheln, statt sie zu verspotten. »Also gut«, sagte sie müde. »Der Graf
ruft mich zu sich. Muss ich den ganzen Weg zur Burg zurücklaufen?«
»Nein. Er hat nicht
weit von hier eine Hütte im Wald, wo er sich auf der Jagd manchmal erfrischt.
Dort ist er jetzt.« Er wies auf den Forst neben der Straße.
Gwenda gefiel es
wenig, aber als Hörige besaß sie kein Recht, sich dem Ruf ihres Grafen zu
verweigern. Und wenn sie sich widersetzte, würde Alan sie gewiss
niederschlagen, fesseln und zu besagter Hütte tragen. »Na schön«, sagte sie.
»Du kannst vor mir
im Sattel reiten, wenn du möchtest.« »Nein, danke, ich gehe lieber zu Fuß.« In
dieser Jahreszeit war das Unterholz dicht. Gwenda folgte dem Reiter zwischen
die Bäume und machte sich den Pfad zunutze, den das Pferd in Nesseln und Farne
trampelte. Die Straße hinter ihr verschwand rasch im Blattwerk. Gwenda fragte
sich nervös, aus welcher Laune heraus Ralph dieses Treffen im Walde befohlen
hatte. Sie spürte deutlich, dass es für sie und ihre Familie nichts Gutes
bedeuten konnte.
Eine Viertelmeile
gingen sie so und kamen schließlich zu einer niedrigen, strohgedeckten Hütte.
Gwenda hätte sie für den Sitz eines Jagdhüters gehalten. Alan stieg ab, schlang
die Zügel um einen jungen Baum und ging Gwenda voran.
Innen sah die Hütte
ebenso kahl und zweckdienlich aus wie der Rittersaal von Earlscastle. Der Boden
bestand aus gestampfter Erde, die Wände aus unverputztem Lehmflechtwerk, die
Unterseite des Strohdaches bildete die Decke. Möbel gab es nur wenige: einen
Tisch, einige Bänke und ein einfaches hölzernes Bettgestell mit einem
Strohsack. Eine Tür auf der anderen Seite des Raumes stand halb offen und
führte in eine kleine
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