Die Tore der Welt
Küche, wo wahrscheinlich Ralphs Diener Essen und Getränke
für ihn und seine Jagdgefährten bereiteten.
Ralph saß mit einem
Becher Wein am Tisch. Gwenda stellte sich vor ihn und wartete. Alan lehnte
hinter ihr an der Wand. »Also hat Alan dich gefunden«, sagte Ralph.
»Ist hier sonst
niemand?«, fragte Gwenda nervös.
»Nur du, ich und
Alan.«
Gwendas Besorgnis
stieg. »Warum wolltet Ihr mich sehen?« »Natürlich, um über Sam zu reden.«
»Ihr habt ihn mir
weggenommen. Was gibt es da noch zu sagen?« »Er ist ein guter Junge, weißt du
… unser Sohn.« »Nennt ihn nicht so.« Sie warf einen Blick auf Alan. Er zeigte
keine Überraschung; offenbar war er in das Geheimnis eingeweiht. Gwenda war
entsetzt. Wulfric durfte es nie herausfinden. »Nennt ihn nicht unseren Sohn«,
sagte sie. »Ihr seid ihm nie ein Vater gewesen. Wulfric hat ihn großgezogen.«
»Wie hätte ich ihn großziehen sollen? Ich wusste ja nicht einmal, dass er von
mir war! Aber ich mache die verlorene Zeit wieder gut. Es geht ihm prächtig,
hat er dir das gesagt?« »Gerät er auch nicht in Schlägereien?« »Wieso denn
nicht? Knappen sollen miteinander kämpfen. Das ist eine gute Übung, wenn es in
den Krieg geht. Du hättest fragen sollen, ob er gewinnt.« »Das ist nicht das
Leben, das ich für ihn gewünscht habe.« »Es ist das Leben, für das er
geschaffen wurde.« »Habt Ihr mich herbringen lassen, um zu prahlen?« »Warum
setzt du dich nicht?«
Widerstrebend nahm
sie ihm gegenüber am Tisch Platz. Er schenkte Wein in einen Becher und schob
ihn Gwenda hinüber. Sie sah nicht einmal hin.
Ralph sagte:
»Jetzt, wo ich weiß, dass wir einen Sohn zusammen haben, finde ich, dass wir
vertrauter miteinander Umgang pflegen sollten.«
»Nein, danke.«
»Sei keine
Spaßverderberin.«
»Was redet Ihr da
von Spaß? Ihr seid die Geißel meines Lebens. Von ganzem Herzen wünschte ich,
ich wäre Euch nie begegnet. Ich will mit Euch nicht Umgang pflegen, ich will
von Euch fort. Wenn Ihr bis nach Jerusalem ziehen würdet, wäre es immer noch
nicht weit genug.«
Vor Wut lief er rot
an im Gesicht, und sie bedauerte die Zügellosigkeit ihrer Worte. Alans Mahnung
fiel ihr ein. Sie wünschte, sie könnte einfach und gelassen Nein sagen, ohne
Sticheleien hinzuzufügen, die tief ins Mark drangen. Doch Ralph stachelte ihren
Zorn an wie sonst niemand.
»Begreift Ihr
nicht?«, versuchte sie ihm zuzureden. »Ihr hasst meinen Mann seit… seit einem
Vierteljahrhundert! Er hat Euch die Nase gebrochen, und Ihr habt ihm die Wange
aufgeschlitzt. Ihr habt ihm sein Erbrecht verweigert und wart dann gezwungen,
ihm doch das Land seiner Familie zurückzugeben. Ihr habt die Frau geschändet,
die er liebte. Er ist weggelaufen, und Ihr habt ihn mit einem Strick um den
Hals zurückgeholt. Nach all dem kann uns nicht einmal die Tatsache, dass wir
einen gemeinsamen Sohn haben, zu Freunden machen.«
»Das sehe ich
anders«, erwiderte Ralph. »Ich finde, wir könnten nicht nur Freunde sein,
sondern sogar Geliebte.«
»Nein!« Davor hatte
sie sich insgeheim gefürchtet, seit Alan vor ihr sein Pferd zügelte.
Ralph grinste.
»Zieh dein Kleid aus.«
Sie erstarrte.
Alan beugte sich
von hinten vor und riss ihr mit einer geschmeidigen Bewegung den langen Dolch
aus dem Gürtel. Er hatte sich offenbar genau überlegt, wie er es anstellen
würde, und es ging zu schnell, um etwas dagegen zu tun.
Doch Ralph sagte:
»Nein, Alan — das ist nicht nötig. Sie wird es freiwillig tun.«
»Ganz gewiss
nicht!«, rief Gwenda.
»Alan, gib ihr den
Dolch wieder.«
Widerstrebend
drehte Alan das Messer herum, ergriff es an der Klinge und reichte es ihr mit
dem Griff voran.
Sie riss es an sich
und sprang auf. »Ihr könnt mich umbringen, aber bei Gott, einen von Euch nehme
ich mit«, sagte sie.
Sie wich zurück,
das Messer auf Armeslänge vor sich, kampfbereit.
Alan ging zur Tür,
um ihr den Weg zu verstellen.
»Lass sie«, sagte
Ralph. »Sie geht nirgendwohin.« Gwenda wusste nicht, weshalb Ralph so
zuversichtlich war, aber er irrte sich. Sie würde die Hütte verlassen und dann
so rasch davonlaufen, wie sie nur konnte, und innehalten würde sie erst, wenn
sie zusammenbrach.
Alan blieb, wo er
war.
Gwenda wich an die
Tür zurück, griff hinter sich und hob den einfachen hölzernen Riegel.
Ralph fragte:
»Wulfric weiß es natürlich nicht, oder?« Gwenda erstarrte. »Weiß was nicht?«
»Dass ich Sams Vater
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