Die Tore zu Anubis Reich
ihm. Ich hab's, dachte er - es ist eines von den wenigen Gedichten, die Colin Lepovre geschrieben hat, der mit Elizabeth Tichy verlobt war, bevor sie William Ashbless' Frau wurde. Lepovre verschwand im Jahre - sehen wir mal, 1809 war es, wenige Monate vor dem geplanten Hochzeitstermin - er war zwanzig und hinterließ nur einen schmalen Band mit Versen, der nur wenige und unbarmherzige Rezensenten fand.
Er blickte zu Jacky und sah, daß der junge Mann ihn voll Überraschung und zum ersten Mal mit etwas wie Respekt anstarrte. »Mein Gott, Doyle, Sie haben Lepovre gelesen?«
»Ja, gewiß«, sagte Doyle, als wäre es nichts. »Er verschwand letztes Jahr, nicht wahr?«
Jackys Miene verdüsterte sich. »Das ist die offizielle Version. Tatsächlich wurde er umgebracht. Ich kannte ihn, weißt du.«
»Tatsächlich?« Doyle kam der Gedanke, daß diese Geschichte eine gute Fußnote in der Ashbless-Biographie abgeben könnte, sollte es ihm je gelingen, nach 1983 zurückzukehren. »Wie wurde er getötet?«
Der junge Mann trank den Cognac wieder aus und füllte sein Glas unbekümmert zum drittenmal auf. »Vielleicht werde ich dich eines Tages gut genug kennen, daß ich es dir sage.«
Noch immer entschlossen, etwas zur Veröffentlichung geeignetes aus dem Jungen herauszuholen, fragte Doyle: »Kanntest du seine Verlobte, Elizabeth Tichy?«
Jacky machte ein erschrockenes Gesicht. »Wenn du aus Amerika bist, wie kannst du dies alles wissen?«
Doyle öffnete den Mund, eine einleuchtende Antwort zu geben, doch wollte ihm keine einfallen, und er mußte sich mit: »Eines Tages, Jacky, werde ich dich vielleicht gut genug kennen, es dir zu sagen«, behelfen.
Jacky zog die Brauen hoch, dann lächelte er. »Wie ich sagte, Doyle, in dir steckt mehr, als auf den ersten Blick zu sehen ist.
Ja, ich kannte Beth Tichy - recht gut sogar. Ich kannte sie schon Jahre vor ihrer Begegnung mit Lepovre. Ich stehe noch immer in Verbindung mit ihr.«
»Anscheinend hatte ich beinahe recht, als ich sagte, daß ihr zwei alte Kumpel wärt«, sagte Kopenhagen-Jack. »Doyle, du kommst mit mir! Der alte Stikeleather hat mich halbwegs durch Dallas' Aubrey gebracht, aber wie er vorliest, dauert es mindestens noch ein Jahr, bis er damit fertig wird. Wir wollen sehen, ob du ein bißchen schneller lesen kannst.«
Die niedrige Schankstube des Wirtshauses war gedrängt voll, aber die meisten Leute saßen und standen über den Tisch gebeugt, wo ein Kartenspiel im Gange war, und Fairchild, der mit seinem Glas Gin in einem dunklen Winkel saß, hatte Platz, sich zurückzulehnen und die Füße gegen die Ziegel der Wand zu stemmen. Er hatte vor langer Zeit gelernt, sich nicht an Glücksspielen zu beteiligen, denn er konnte die Regeln nie verstehen, und ganz gleich, welche Art von Karten er bekam, irgendwie nahmen die Leute ihm nachher immer das Geld weg und sagten ihm, er habe verloren.
Von den fünfen hatte er nur einen Shilling aus dem Abflußrohr in der Seitenstraße der Fleet Street genommen, denn er hatte sich einen Plan zurechtgelegt: er wollte sich Horrabins Bettlertruppe anschließen und das Geld für besondere Dinge wie Fleisch und Gin und Bier und - er schluckte vom Gin, als er daran dachte - hin und wieder ein Mädchen aufbewahren.
Als er ausgetrunken hatte, beschloß er, kein weiteres Glas zu bestellen, denn wenn er heute abend versäumte, bei dem Stelzenclown anzuheuern, würde er etwas von seinem Geld für eine Unterkunft ausgeben müssen, und das war nicht Teil seines Planes. Er stand auf und arbeitete sich durch die lärmende und lachende Menge zum Ausgang.
Der flackernde Laternenschein erhellte wie mit Widerwillen die überhängenden Häuserfronten der Buckeridge Street und zeichnete die Umrisse der Fassaden, die Fensterleibungen und Gesimse mit den feinsten Pinselstrichen auf die schwarze Leinwand der Nacht. Hier spiegelten die Flügel eines offenen Fensters das matte Licht, obwohl der Raum dahinter im Dunkeln lag, dort war die Einmündung einer Seitengasse mit einer weiteren Laterne irgendwo in ihrem Verlauf nur durch eine Bahn gelblichglänzender Reflexe auf dem nassen Kopfsteinpflaster zu erkennen, wie eine Prozession von Kröten, die in ihrer langsamen Überquerung der Straße momentan in Bewegungslosigkeit verharren, und gelegentlich, wenn ein Windstoß die Laterne in schaukelnde Bewegung versetzte, wurden Dächer, Giebel und Wände mit abblätterndem Verputz für Augenblicke sichtbar.
Fairchild tappte über die Straße zur
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