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Die Tore zu Anubis Reich

Die Tore zu Anubis Reich

Titel: Die Tore zu Anubis Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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bekommen, wird es hoffentlich dazu beitragen, daß er dich nicht erkennt.«
    Jacky stellte Doyle vor manches Rätsel. Der Junge kam ihm bisweilen in bestimmten spontanen Gesten und in seiner Wortwahl effeminiert vor und hatte zweifellos kein sonderliches Interesse an jungen Damen; andererseits hatte Jacky, als einer der stattlichsten unter den heruntergekommenen besseren Herren ihn im Speisesaal in eine Ecke gezogen, seine heiße Karfreitagssemmel genannt und versucht hatte, ihn zu küssen, nicht bloß mit entschiedener Ablehnung, sondern mit Abscheu reagiert, als betrachte er alles von dieser Art als widerwärtig. Und Doyle konnte nicht verstehen, warum ein junger Mann von Jackys Intelligenz sich damit zufrieden gab, seinen Lebensunterhalt durch Betteln zu verdienen, selbst wenn es unter solch relativ angenehmen Umständen wie bei Käpt'n Jack geschah.
    Doyle selbst hatte jedenfalls nicht die Absicht, dem Gewerbe längere Zeit treu zu bleiben. In drei Tagen, am Dienstag den 11. September, sollte William Ashbless in London eintreffen, und Doyle hatte beschlossen, ihn kennenzulernen, Freundschaft mit dem Dichter zu schließen und Ashbless - der niemals als notleidend bekannt gewesen war - dann irgendwie dahin zu bringen, daß er ihm zu einer anständigen Beschäftigung verhalf. Er wußte, daß der Mann um neun Uhr früh mit der Fregatte Sandoval am London Dock eintreffen würde, und daß er sich schon um zehn Uhr dreißig an die Erstfassung seines bekanntesten Gedichts »Die Zwölf Stunden der Nacht« setzen würde, und zwar im vorderen Gastzimmer des Kaffeehauses Jamaica. Doyle beabsichtigte etwas vom erbettelten Geld zu sparen, einen passablen Anzug zu kaufen und sich dort mit Ashbless bekanntzumachen. Nachdem er den Mann so gründlich studiert hatte, glaubte Doyle ihn bereits recht gut zu kennen.
    Die Möglichkeit, daß Ashbless unfähig oder unwillig sein könnte, ihm zu helfen, mochte er nicht in Betracht ziehen.
    »Mein Gott, Stanley, sieh dir dieses arme Geschöpf an!« sagte eine Dame, als sie aus einer Mietdroschke stieg. »Gib ihm einen Shilling.«
    Doyle tat, als habe er nicht gehört, und nagte weiter an dem steinharten schmutzigen Stück Brot, mit dem Käpt'n Jack ihn vor sechs Tagen ausgerüstet hatte; Stanley klagte, daß, wenn er Doyle einen Shilling gäbe, ihm nicht genug bleiben würde, um vor der Vorstellung noch etwas zu trinken.
    »Du schätzt deinen ekelhaften Alkohol höher als die Rettung deiner Seele, ist es das? Du ekelst mich an. Hier, du mit dem Brot oder was immer das Ding ist! Kauf dir damit ein anständiges Abendessen.«
    Doyle wartete mit Bedacht, bis sie nähergekommen war, dann blickte er wie erschrocken auf und berührte Mund und Ohr. Sie streckte ihm ein Armband hin.
    »O Gott, Stanley, sieh nur, er ist obendrein taubstumm. Erniedrigt wie ein Hund ist er, der arme Kerl.«
    Sie winkte Doyle mit dem Armband, und er nahm es mit einem dankbaren Lächeln an. Das Paar ging weiter dem Theater zu, Stanley nicht ohne Murren, und Doyle steckte das schwere Armband in die Tasche.
    Und dann, dachte er im Weiterschlurfen, wenn Ashbless mir erst geholfen hat, in diesem verdammten Jahrhundert auf die Füße zu kommen, und wenn ich beschließe - was ich wahrscheinlich tun werde -, daß ich lieber in die Zeit zurückkehre, wo es ein organisiertes Gesundheitssystem und Anästhesie gibt, von Filmen, Spülklosetts und Telefonen ganz zu schweigen, werde ich mich vorsichtig mit dem schrecklichen Dr. Romany in Verbindung setzen und eine Regelung aushandeln, wonach er mir Lage und Zeitpunkt einer der bevorstehenden Zeitlücken verraten kann. Wahrscheinlich könnte ich ihn dazu bringen, daß er mich in das Feld läßt, wenn die Lücke sich schließt! Ich müßte nur sichergehen, daß er den mobilen Haken nicht findet und an sich nimmt...
    In seiner Kehle kratzte es, und ein elegant gekleidetes Paar näherte sich mit schlendernden Schritten, und so nahm er die Gelegenheit wahr, sein vielbewundertes Husten vom Stapel zu lassen; er bemühte sich, es nicht allzuoft zu tun, weil es sich leicht von einer simulierten Heimsuchung zu einem echten lungenzerreißenden Anfall entwickeln konnte, und in den letzten paar Tagen hatte es sich bereits verschlimmert. Er vermutete, daß es eine Folge des unfreiwilligen mitternächtlichen Bades war, das er vor einer Woche im kalten Chelsea Creek genommen hatte.
    »Heilige Mutter Gottes, James, dieser wandelnde Leichnam ist drauf und dran, seine Lunge auf das Pflaster zu husten.

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