Die Tore zu Anubis Reich
Gib ihm etwas, damit er sich was zu trinken kaufen kann!«
»Wäre bei dem Kerl reine Verschwendung. Der erlebt den morgigen Tag nicht mehr.«
»Nun... vielleicht hast du recht. Ja, du scheinst tatsächlich recht zu haben.«
Zwei Männer lehnten an den Eisenpfosten des Geländers, das die Seitenflügel des Theaters flankierte. Einer von ihnen klopfte Asche von seiner Zigarre, dann zog er daran und machte einen roten Glutpunkt in der Dunkelheit. »Ich fragte jemand«, sagte er leise zu seinem Partner. »Dieser Bursche ist ein Taubstummer namens Stummer Tom. Bist du sicher, daß er es ist?«
»Der Chef ist sicher.«
Der erste Mann spähte über die Straße zu Doyle, der sich dort den Bürgersteig entlangschleppte und vorgab, an seinem Brot zu nagen. »Er sieht wirklich nicht nach einer Bedrohung aus.«
»Allein die Tatsache, daß er da ist, stellt eine Bedrohung dar, Kaggs. Er hat hier nichts verloren.«
»Kann sein.« Kaggs zog ein langes, schmales Messer aus dem Ärmel, prüfte zerstreut die Schärfe der Schneide mit dem Daumen und steckte es wieder ein. »Wie willst du es anfangen?«
Der andere dachte einen Moment lang nach. »Sollte nicht schwierig sein. Ich remple ihn scheinbar zufällig an, daß er fällt, und du kannst so tun, als wolltest du ihm aufhelfen. Laß den Mantel offen vorhängen, so daß niemand etwas sehen kann, und dann stoß das Messer hinter seinem Schlüsselbein bis zum Heft hinein, die Klinge rechtwinklig zum Knochen, und bewege es ein bißchen hin und her. Dort unten ist eine große Arterie, die du nicht verfehlen kannst, und er sollte innerhalb weniger Sekunden tot sein.«
»In Ordnung. Gehen wir!« Er warf die Zigarre auf die Straße, beide stießen sich vom Geländer ab und schritten Doyle nach.
Rotgeränderte Augen blickten aus dem mit fettiger Farbe bunt bemalten Gesicht, und Horrabin trat zwei Stelzenschritte vor. »Sie beobachteten ihn, und nun sind sie hinter ihm her?« sagte er in einem grollenden Flüsterton, der sich durchaus von seiner quiekenden Stimme unterschied. »Und es ist gewiß, daß sie nicht unsere Leute sind?«
»Ich habe die zwei noch nie gesehen, Euer Gnaden«, sagte einer der Männer, die unter ihm auf dem Pflaster standen.
»Dann wartet nicht, bis die Leute im Theater sind«, zischte der Clown. »Holt ihn jetzt!« Als die drei Männer Doyle und seinen zwei Verfolgern nachliefen, schlug Horrabin mit der weißbehandschuhten Faust gegen die Ziegelmauer der Seitengasse und flüsterte: »Verdammt, Fairchild, warum konnte dir das nicht gestern schon eingefallen sein?«
Er mußte zurück nach 1983, ehe dieser Husten ihn umbrachte, dachte Doyle unfroh. Ein paar Spritzen Penicillin oder was würden in ein paar Tagen damit Schluß machen, aber wenn er hier zu einem Arzt ginge, würde der Mann ihm wahrscheinlich Blutegel ansetzen. Wieder spürte er den Hustenreiz, unterdrückte ihn jedoch mit entschlossener Anstrengung. Er begann sich allmählich zu fragen, ob sich schon eine Lungenentzündung entwickelt hatte. Der Husten schien nicht einmal mehr gut für das Geschäft zu sein. Niemand will einem Bettler geben, der aussieht, als würde er in zehn Minuten tot umfallen. Vielleicht würde der Kapitän...
Jemand stellte ihm ein Bein, und ehe er ausweichen konnte, wurde er heftig angerempelt und fiel vornüber auf das Kopfsteinpflaster. Im letzten Augenblick konnte er die Hände schützend hochreißen, schürfte sich aber die Handflächen. Der Mann, der ihn zu Fall gebracht hatte, ging weiter, aber jemand anders hatte haltgemacht und kauerte neben ihm. »Fehlt Ihnen was?« fragte der Neuankömmling.
In seiner Benommenheit begann Doyle seine Taubstummengebärde zu machen, aber plötzlich schlug der Mann ihm eine Hand vors Gesicht und hielt ihm den Mund zu, während er mit der anderen einen Messerstoß nach Doyles Schulter führte. Doyle sah das Blitzen der Klinge aus dem Augenwinkel, warf sich zurück und stieß gleichzeitig nach oben, so daß sie seine Jacke durchschnitt und ihm die Haut ritzte, aber vom Schlüsselbein nach außen abgelenkt wurde. Er versuchte zu schreien, brachte mit geschlossenem Mund aber nur etwas wie ein lautes Summen hervor; sein Angreifer kniete auf Doyles freiem Arm und holte zu einem weiteren Versuch aus.
Plötzlich kollidierte etwas von rückwärts hart mit dem Mann, worauf der mit einem dumpfen Laut die Luft ausstieß und über Doyle hinweg vorwärts flog, während sein Messer auf das Pflaster klapperte. Drei Männer standen jetzt über
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